Der menschliche Faktor (ARD Radiotatort)

Oma Fietz wird in ihrem Kiosk in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein überfallen und geknebelt. Dabei erleidet die alte Frau einen Herzinfakt und verstirbt. Die Polizei verdächtigt rasch die junge Agatha Dudek, Tochter eines polnischen Malermeisters. Bald stellt sich heraus, dass die junge Frau unschuldig ist. Da hat sich im Netz jedoch längst ein Hassmob zusammengefunden. Einige Tage nach ihrer Freilassung stirbt Agatha bei einem Unfall. Bettina Breuer wird von einem einstigen Kollegen um Hilfe gerufen. Denn die Stimmung dreht sich nun zunehmend gegen die Polizei.

Der Großteil des Krimis sind Rückblicke auf die Ereignisse um den Kiosküberfall. Alle Entscheidungen sind bereits getroffen, Fehler sind gemacht worden. Das ist der titelgebende menschliche Faktor. Die örtliche Polizei hat nicht bedacht, dass Agathas Verhaftung von Nachbarn aufgezeichnet wird und eine geplante Hetzaktion gegen die gesamte Familie zur Folge haben wird. Das ist der zweite menschliche Faktor, das Unterschätzen des Hasspotentials in einer Dorfgesellschaft. Der Krimi zeigt dabei sehr gut auf, wie auch Menschen mit tolerantem Selbstverständnis implizit zu Brandstiftern werden können. Dabei geht vor allem Agathas Beerdigung unter die Haut. Sie wird vor allem von vermeintlichen Freunden der Familie besucht. Dennoch kommen einige Gäste im Beisein Breuers nach anfänglichem Rätseln darüber, wer hinter den anonymen Hetzaktionen stecke, zu dem Schluss, dass die Familie Agathas am Besten nach Polen zurückkehre, dann könne endlich wieder Ruhe im Dorf einkehren. Brutaler kann man diese Ausgrenzung nicht darstellen als in solch einem Beerdigungskontext.

Im Laufe des Krimis stellt sich zudem heraus, dass Agatha vor allem verdächtigt wurde, weil sie zwischen den Moralvorstellungen ihrer Schule und den strengen Ansichten ihres Vaters eingezwängt war. Letztlich unterscheiden sich die vorgeheuchelten Werte des Mobs nämlich gar nicht von den tatsächlich gelebten Werten der attackierten Familie. Der Unterschied liegt letztlich in der Toleranz, die die Familie sowohl gegenüber ihren Mitmenschen als auch gegenüber der Polizei und anderen Institutionen aufbringen kann. Die Vertreter rechter Mobs sind dazu nicht in der Lage.

„Der menschliche Faktor“ ist daher vor allem atmosphärisch stark. Die Episode baut Spannung durch die Hoffnung auf, man würde Agathas potentiellen Mörder finden. Stattdessen erwischt es lediglich eine Person aus dem anonymen Online-Mob. Allerdings erfährt man von der eigentlichen Ermittlungsarbeit so gut wie gar nichts. Das ist in Ordnung, sorgt aber letztlich für einen Krimi, der eher ein eindrucksvoller Appell ist als eine spannende Ermittlung.

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