Dead Air (von Nino Cipri)

Nita arbeitet an einem Kunstprojekt: Sie nimmt Unterhaltungen mit allen Menschen auf, mit denen sie schläft. Dabei versucht sie die dabei entstehende Nähe in Unterhaltungen festzuhalten. Bei Maddie stößt das Projekt an seine Grenzen. Maddie ist nicht nur reserviert, sondern fühlt sich in der Rolle als Teilnehmerin einer Studie unwohl. Vor allem aber wünscht sich Nita bald eine ernstere Beziehung zu Maddie. Doch die durch ihr Projekt bereits angesprochen Themen lassen sich nicht ignorieren. Und so stößt die Beziehung bald auf einige dunkle Momente aus Maddies Vergangenheit, die auch Nita zu verschlingen drohen.

Die Kurzgeschichte ibesteht aus den verschiedenen Aufnahmen, die Nita im Verlauf ihrer Beziehung mit Maddie anfertigt. Sie ist also wie ein ausgeschriebener Hörspieltext in Dialog und knappen Beschreibungen von Geräuschen verfasst. Dabei entstehen Nita und Maddie als komplexe Charaktere sowohl durch ihre emotionalen Unterhaltungen als auch durch die vielen Momente der Stille bzw. die unausgesprochenen Aspekte ihrer Beziehung. „Dead Air“ arbeitet mit derselben Mischung aus Distanz und Nähe, die Nitas Projekt auszeichnet. Die Präsentation überlässt viel der Fantasie der Leser und gibt gleichzeitig intime Einblicke in die beiden handlungstreibenden Personen. Nitas Projekt beschäftigt sich ausschließlich mit Menschen, die ihr sehr nah gekommen ist und über deren Leben sie mehr erfahren möchte, und erschafft gleichzeitig Distanz, indem sie diese Menschen wie Untersuchungsobjekte behandelt. Cipri gelingt es, dass trotz der distanzierten Präsentation die Beziehung zwischen Nita und Maddie mit all ihren Unsicherheiten und Emotionen zum Leben erwacht und den Leser fesselt.

So schaurig die emotionalen Auswirkungen des Kunstprojekts sind, so schaurig entwickelt sich Maddies Seite der Beziehung. Sie trägt ein Geheimnis in sich. Nita findet heraus, dass ihre Heimatstadt gar nicht existiert. Dennoch bricht sie für eine Familienfeier mit Maddie dorthin auf. Auch ein Unfall, in den Maddie in Jugendjahren verwickelt war, muss sich anders als beschrieben zugetragen haben. Dennoch findet Nita noch Spuren dieses Unfalls. All diese Unstimmigkeiten entwickeln aufgrund der Abwesenheit jedweder Beschreibung der Umwelt einen subtilen Horror. Was tatsächlich mit Maddies Herkunft nicht stimmt, erfährt der Leser nicht. Der Schrecken, der sich hinter ihrer verhexten Heimatstadt oder ihren Jugenderlebnissen versteckt, führt am Ende jedoch zu einem weiteren Unfall. Dieser Weg ist spannend und gruselig. Die vage Handlung stört dabei zu keinem Zeitpunkt, sondern erzeugt eine Horror-Atmosphäre, der man sich nicht entziehen kann.

Durch ihre Offenheit lädt „Dead Air“ zu verschiedenen Interpretationen ein. Die meisten drehen sich jedoch darum, dass Nitas Fragen höchstwahrscheinlich verschiedene Traumata Maddies aufwecken. Maddie ist dafür durchaus dankbar, da sie ihren Frieden, wenn auch auf ausgesprochen radikale Art, zu finden scheint. Nita spielt dabei eine wichtige Rolle, die Einsamkeit des Endes ertragbar zu machen. Gleichzeitig stellen sich dabei jedoch auch Fragen, welche Erinnerungen besser verdrängt bleiben und bei welchen Hilfe notwendig wäre. Außerdem illustriert die Geschichte wirkungsmächtig, welche Belastung die Vergangenheit für Beziehungen sein kann. Und zuletzt gibt es auch Aspekte der Handlung, die die Schwierigkeiten aufzeigen, der eigenen Herkunft zu entfliehen. All diese Aspekte werden von der übersinnlichen Horrorhandlung, der Tatsache, dass Maddies Heimatdorf verhext ist und alle seine Bewohner irgendwann wieder im Unglück dorthin zurückkehren müssen. Dadurch steht dem Leser offen, einzelne Aspekte der Handlung in den phantastischeren Teil einzuordnen oder als Folgen unbewältigter Jugendtraumata anzusehen.

Dieser Mix ist inhaltlich auf aufwühlende Art verwirrend, emotional beeindruckend und durch seine Distanziertheit entsteht eine berauschende Nähe. Das so offene wie definitive Ende der Kurzgeschichte ist verstörend, abeer nachdenklich. „Dead Air“ endet mit der Frage, wie viel man wirklich wissen bzw. hören möchte. Denn die Konsequenzen einiger Fragen sind überwältigend und folgenschwer, aber vielleicht der einzige Weg um Nähe und Liebe zu ermöglichen. Der einzige Schwachpunkt dabei ist, dass irgendeine Art von Hilfe, die Maddies Situation erträglicher gemacht hätte, nicht thematisiert wird. Abgesehen davon ist „Dead Air“ eine beeindruckende Horrorgeschichte, die emotionale Charakterbeziehungen mit einer spannenden Atmosphäre und vielen interessanten Fragen verbindet.

Die Kurzgeschichte „Dead Air“ von Nino Cipri ist 2018 im Nightmare-Magazin erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2019“, herausgegeben von Carmen Maria Machado und John Joseph Adam.

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