Et in Arcadia Ego – Teil 2 (Star Trek: Picard, Episode 1×10)

Eine riesige romulanische Flotte steht kurz davor, Coppelius zu erreichen. Dort lebt eine Gemeinschaft aus Androiden, die von Dr. Soong und Bruce Maddox geschaffen wurden. Der romulanische Tal Shiar befürchtet, dass diese Androiden Hilfe einer androidischen Föderation aus einer anderen Dimension in Anspruch nehmen und damit jedes biologisches Leben in unserer Galaxie auslöschen. Die wehrlose Gemeinschaft der Androiden entscheidet sich angesichts der Bedrohung für genau diesen Schritt. Picard, der der Androidin Soji dabei geholfen hat, romulanischer Verfolgung zu entkommen und die Gemeinschaft überhaupt erst auf den Angriff aufmerksam zu machen, wird unter Hausarrest gestellt. Raffi und Rios sind noch ahnungslos und reparieren die La Sirena. Der romulanische Agent Narek ist auf freiem Fuß und sucht händeringend nach einem Plan, die Ereignisse zu verhindern. Während Soji eine Kommunikationsstation errichtet, um mit der anderen Dimension zu kommunizieren, gibt Dr. Jurati vor, der androidischen Sache zu dienen. Tatsächlich arbeitet sie aber daran, Picard zu befreien und das Unmögliche zu schaffen: Die Romulaner davon abzuhalten, die Androiden zu vernichten, und die Androiden daran zu hindern, alles biologisches Leben auszulöschen.

Der Abschluss der ersten Staffel ist ein sehr handlungsgetriebenes Finale. Die Ereignisse überschlagen sich. Das ist spannend und unterhaltsam, liegt aber auch daran, dass der Hauptteil der Episode relativ schnell für einen weiter unten thematisierten zeitraubenden Schluss abgehandelt werden muss. Die Auflösung der drohenden Vernichtung entweder der Androiden oder jedweden organischen Lebens ist geschickt eingefädelt. Jeder Charakter der Serie muss irgendwie über einen Schatten springen. Das misstrauische Duo Raffi und Rios muss einem ehemaligen Feind vertrauen. Dr. Soong muss die Nachteile seiner eigenen Kreation erfahren und sich sogar gegen sie stellen. Soji muss nach ihren Missbrauchserfahrungen mit Narek ebenfalls wieder Vertrauen schöpfen. Dr. Jurati muss ihre Angst vor dem Weltraum überwinden, indem sie mit Picard in der winzigen La Sirena der romulanischen Flotte gegenüber steht. Picard scheint seit seinem Ruhestand eine Reihe technischer Entwicklungen verpasst zu haben und muss sich nun wieder der Tatsache stellen, dass er wieder in (einer Art) aktivem Dienst ist. Dies geschieht temporeich und unterhaltsam. Es täuscht auch darüber hinweg, dass die eigentliche Erzählung ein wenig hahnebüchen ist. Dass die Sirena allein die romulanische Flotte aufhält, ist schon merkwürdig. Warum fallen die Romulaner überhaupt mit hunderten Schiffen im System ein, wenn ein paar Dutzend Schiffe die Station selbst angesichts der (noch immer absurden) Weltraumverteidigungsblumen komplett auslöschen könnten? Man hätte leicht ein paar Schiffe auf die Sirena und ihre Signaturen und den Rest auf die Station ansetzen können. In der verstrichenen Zeit erreicht eine genau so riesige Föderationsflotte das System. Es ist auch hier nicht ganz klar, wie solch eine große Flotte in so kurzer Zeit zusammengerufen werden konnte. HIer wäre es insgesamt schön gewesen, wenn man die Maßstäbe „Star Trek“-typischer und realistischer gehalten hätte. Noch merkwürdiger ist aber, dass die „Zerstörer“ aus einer anderen Dimension obwohl sie bereits gerufen wurden, nach der Zerstörung des Kommunikationsrelays nicht darauf bestehen, in unsere Galaxis vorzudringen. Es ist als wäre es ohne Funkanlage unmöglich, in unsere Dimension überzutreten. Aber die Technologie zum Dimensionsübertritt liegt ja in den Händen der anderen Seite. Zu allem Überfluß sehen die aus dem ins All durch eine andere Dimension gesendeten Kommunikationsfluss greifenden Roboterarme reichlich trashig aus. Andererseits geht es der Episode weniger um die Action und mehr um die Charakterentwicklung. Picard überlässt in einer ziemlich wagemutigen Geste Soji die Wahl, ob sie nun tödliche Hilfe aus einer anderen Dimension anfordert oder nicht. Nach seiner Philosophie brauchen auch Androiden schlichtweg Vorbilder, die der Gemeinschaft auf Coppelius gefehlt hat. Schließlich kennen diese Androiden ausschließlich Maddox und Dr. Soong als biologische Wesen. Auf die Art beendet „Et in Arcadia Ego“ den Handlungsbogen der ersten „Star Trek: Picard“-Staffel mit einer „Star Trek“-typischen Rede Picards. In Verbindung mit dem hohen Handlungstempo, einigen sehr gelungenen Dialogen (u.a. mit einem weiteren Gastauftritt William Rikers) und sogar einigen zumindest visuell überzeugenden Actionszenen im Borg-Kubus und im Orbit von Coppelius sorgt das für einen unterhaltsamen, spannenden und zufriedenstellenden Staffelabschluss.

Und dann stirbt Picard. Bereits zu Beginn der Staffel haben wir erfahren, dass Picard an einer Gehirnkrankheit leidet, die nicht behandelbar ist. Picard stirbt also und wir sehen wie Raffi, Rios, Seven und Elnor trauern. Dann erleben wir Picard in einem Gespräch mit Data, der in den Speichern von Coppelius-Station weiterlebet. Und dabei erfährt Picard, dass sein Bewusstsein gerade in einen Golem kopiert wird, den Dr. Soong geschaffen hat. Dieser Handlungsstrang macht unnötiger Weise ein neues Themenfeld auf. Es ist auch unverständlich, warum man zunächst große Trauer inszeniert, während Dr. Jurait, Soji und Dr. Soong bereits an Picards Wiederbelebung arbeiten. Die Station ist so klein, dass dies eigentlich niemandem verborgen bleiben sollte. Im Gegenzug ist Picards Gespräch mit Data und dessen zweiter Tod nach „Star Trek: Nemesis“ sehr berührend. Es gibt dem zentralen Handlungsstrang der Serie zudem eine neue Dimension. Picard ist nun de facto ebenfalls ein synthetisches Lebewesen. Zwar ist ihm ein Tod einprogrammiert und er ist kaum von einem Menschen zu unterscheiden. Letztlich ging es in der Staffel aber immer darum, ob Androiden wie Menschen sein können. Data hat uns in sieben Staffeln „Next Generation“ und vier Kinofilmen überzeugt. Nun hatten seine Nachkommen zehn Episoden Zeit, um dieses Urteil zu unterstreichen. Indem Picard, der in der Serie einer der wohl „menschlichsten“ Charaktere ist, ebenfalls ein Android wird, kann man auf eine positive Zukunft der Androiden innerhalb der Föderation hoffen. Die Ambitionen der Autoren ist in diesem etwas überraschenden Handlungsstrang also klar erkennbar. Die Umsetzung und vor allem das Timing dieser Verwandlung lässt jedoch etwas zu wünschen übrig.

Am Ende kommt die Besatzung der La Sirena wieder zusammen und bricht zu einer neuen Reise auf. Wohin und warum ist völlig unklar. Das ist in gewisser Weise aber sehr angenhem. Bevor „Star Trek: Picard“ war unklar, worum es in der Serie wirklich gehen würde. Und auch für die zweite Staffel ist unklar, wohin die Reise geht. Themen gäbe es reichlich. In der ersten Staffel haben wir eine sehr dunkle und brutale Seite des „Star Trek“-Universums gesehen. Es wird kaum einen langjährigen „Star Trek“-Zuschauer geben, der sich nicht die Frage stellt, ob die Föderation insgesamt durch die Infiltration des Tal Shiars von ihrem Weg abgekommen ist und etwas die Kontrolle verloren hat oder ob es in den Randgebieten und außerhalb der Sternenflotte schon immer so rau zuging. Aber auch darüber hinaus gibt es von den befreiten Borg-Drohnen bis hin zu der Situation der geretteten, aber in Armut lebenden Romulanern viele offene Fragen, denen die Serie nachgehen kann – oder aber ganz neue Wege, die wie in dieser Staffel beschritten werden könnten. Insfoern ist „Et in Arcadia Ego“ trotz der etwas umständlichen Handlung um Picards und Datas Tod ein gelungener und unterhaltsamer Abschluss für die erste Staffel: Die gut etablierten Charaktere treffen weitreichende Entscheidungen, die zu einer temporeichen und spannenden Konfrontation führen und in einem „Star Trek“-typischen Appell an die „Menschlichkeit“ (bzw. die damit verbundenen Werte) Wohlgefallen erzeugen und Material dafür liefern, was „Menschlichkeit“ überhaupt bedeutet.

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