Variations on a Theme from Turandot (von Ada Hoffmann)
|In Puccinis Oper „Turandot“ foltert die Prinzessin Turandot die Sklavin Liù, um an den Namen des Prinzen zu kommen, der all ihre Rätsel gelöst hat und damit ihr Gemahl werden wird, falls sie nicht seinen Namen rechtzeitig herausfindet. Aus Angst, den Namen zu verraten, stürzt sich Liù in einen Dolch. In dieser Kurzgeschichte verwebt sich die Sopranistin, die Liù in einer „Turandot“-Vorführung spielt, mit den Ereignissen der Oper. Sie versucht, nicht zu sterben, die grausame Prinzessin zum Einlenken zu bewegen oder aber den Prinzen davon zu überzeugen, dass die Prinzessin ihn nicht liebt. Das Publikum ist angesichts dieser Variationen begeistert. Am Ende gelingt es Liù durch die Variationen der Sopranistin mit Puccini selbst in Kontakt zu treten, der sein unglückliches Liebesleben in die Oper hinein projiziert hat (und mit der letzten Fassung vor seinem Tod ebenfalls unzufrieden ist). Die Prinzessin Turandot, von einem bösen Geist besessen, erkennt die Grausamkeit ihres Tuns und ihr Geist tauscht mit dem Liùs. Das Ende der Oper, in dem der Prinz sein Leben in die Hände der Prinzessin gibt, führt nun dazu, dass sich glaubwürdig eine lebenslange Liebe entwickelt.
Hoffmanns Geschichte spielt virtuos mit dem zentralen Motiv Liùs Selbstmords aus der Oper „Turandot“. Auf der einen Seite macht das die Kurzgeschichte weniger verständlich für die Leser (wie mich), die diese Oper nicht gesehen haben. Auf der anderen Seite ist die Kurzgeschichte auch so überraschend verständlich. Sie beginnt mit verschiedenen Variationen, in denen Liù auf unterschiedliche Art stirbt. Liùs Ziel ist dabei in erster Linie, ihre große Liebe, den Prinzen zu beschützen, aber auch sich selbst irgendwie lebendig aus der misslichen Lage zu befreien. Dadurch versucht sie, mit der Prinzessin zu kommunizieren und irgendwie deren durch Erfahrungen ihrer Kindheit anerzogenen Hass auf Männer zu überwinden. Die Verbindung mit einer Sopranistin, die auf geradezu magische Art mit den Figuren der Oper verbunden ist und am Ende gar Kontakt zu Puccini aufnimmt, ist sehr gelungen. Die ständigen Wechsel zwischen den Variationen und den Intermezzos, in denen die Sopranistin von einem über ihre Improvisationen gar nicht begeisterten Dirigenten gerügt wird, sorgen für Dynamik in der Geschichte, die vielen Ebenen der Erzählung für Spannung.
Hoffmann löst das zentrale Problem der Oper, das sich der Prinz der Prinzessin de facto aufdrängt, so auf, dass die liebende Sklavin zur Prinzessin wird. Das ist kitschig. Hoffmann unterfüttert dies aber mit zwei ausgesprochen überzeugenden Aspekten. Zunächst lässt sie den Dirigenten der Oper die Sopranistin davor warnen, die Zuschauer mit einem Happy End abzuspeisen. Man gehe in Puccinis Oper, um ein schönes Mädchen sterben zu sehen, nicht um ein Happy End zu erwarten. In anderen Worten: Zentral für die Oper sei die Misshandlung einer Frau. Die Geschichte zeigt, dass dies nicht der Fall sein muss, dass der Erzählkern der Handlung die Liebe und ihre Kraft ist und nicht die Grausamkeit der Prinzessin bzw. die Opferbereitschaft der Sklavin. Darüber hinaus ist das tatsächliche Ende der Oper scheinbar unrealistisch. Die Prinzessin wehrt sich gegen jeden potentiellen Gatten, der Prinz drängt sich dennoch auf. Erst als er sein Leben in ihre Hand gibt, erweicht sie sich und eröffnet ihm ihre Liebe – obwohl sie vorher gemordet und gefoltert hat, um ihn und andere Männer los zu werden. Diese abrupte Wendung ist so unrealistisch, dass die phantastischere Auflösung dieser Kurzgeschichte nicht nur spannender, sondern auch authentischer und berührender zu sein scheint.
„Variations on a Theme from Turandot“ arbeitet mit historischem, realen Material, schafft aber eine besondere, emotionale Bindung mit den verschiedenen Protagonisten der Oper und der Rahmenhandlung bei der Suche nach einer Lösung für die untragbare Handlung, in der der Kraft der Liebe ohne Gewalt und Missbrauch zum Durchbruch verholfen und die Skepsis gegenüber übergriffigen Männern überwunden werden kann.
Die Kurzgeschichte „Variations on a Theme from Turandot “ von Ada Hoffmann ist 2018 im „Strange Horizons„-Magazin erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2019“, herausgegeben von Carmen Maria Machado und John Joseph Adam.