The Orange Tree (von Maria Dahvana Headley)

Der Dichter Solomon erträgt seine Einsamkiet in Málaga nicht mehr. Also bestellt er bei einem Handwerker einen Holzkörper, den er nach einem alten Ritual in einen Golem verwandelt. Seine Hoffnungen erfüllen sich jedoch nicht, für ihn bleibt der weibliche Golem, den er erschaffen hat, ein seelenloses Wesen, obwohl es allen ehelichen Pflichten nach kommt. Der Golem selbst aber entwickelt Gefühle, über die Zeit eine Persönlichkeit und sogar eine eigene Stimme. Um ihre wahre Natur zu verbergen, nennt Solomon sie in der Öffentlichkeit Qasmuna. Als die Gelehrten Málagas Qasmuna als Golem identifizieren und zerstören möchten, verteidigt sie Solomon und vor allem sich selbst, in dem sie die Gelehrten tötet. Nach Solomons Tod geht sie ihren eigenen Weg und wird eine bekannte Dichterin.

Headley erzählt eine Version des Golem-Mythos in Málaga. Dabei bezieht sie sich auf eine tatsächliche Golem-Legende um den Dichter Solomon und bringt diese mit der historischen Dichterin Qasmuna, über deren Leben wohl wenig bekannt ist, in Verbindung. Die Geschichte ist zwar klar eine phantastische, bezieht sich aber auch alte Legenden. Das gibt der Geschichte eine angenehme, historische Note.

Im Zentrum steht das Thema der Einsamkeit. Der Golem wird geschaffen, weil Solomon mit der eigenen Einsamkeit nicht mehr konfrontiert sein möchte. Er findet in seinem Geschöpf jedoch keine Freude. Dennoch wird an einigen Stellen deutlich, dass er davor zurückschreckt, das „Ding“, das er geschaffen hat, wieder loszulassen. Obwohl er sich in ihrer Gegenwart einsam fühlt, kann er sich eine Rückkehr zu noch mehr Einsamkeit nicht vorstellen, auch als Qasmuna immer gewalttätiger wird. Die Stärke der Geschichte liegt aber in der Perspektive des Golems. Eigentlich ein Instrument, um die Einsamkeit eines Mannes zu beenden, fühlt der Golem selbst Einsamkeit. Außerdem muss sie sich permanent missverstanden fühlen. Wann immer sie als „Ding“ bezeichnet wird, regt sich Widerstand in Qasmuna. Und so reift sie langsam zur Person heran.

In Verbindung mit der Geschlechterdimension ist „The Orange Tree“ gleichzeitig ein beklemmendes Stück über emotionale wie sexuelle Ausbeutung und das Personwerden eines eigentlich dinglichen Gegenstandes. Das ist beeindruckend geschildert und in sehr schöne Sprache verpackt. Der episch-distanzierte Stil der Erzählung steht jedoch gelegentlich der Wirkung im Weg. Die Emotionalität der Geschichte geht dabei streckenweise verloren. Das Bemühen um Mehrdeutigkeit macht zudem das Erfassen der Ereignisse schwer. „The Orange Tree“ wirkt dadurch relativ sperrig und schwer zügänglich und verlangt, dass man sich auf die Mischung aus distanzierten Szenen und emotionalen Gedankenstücken einlässt, um diese Golem-Geschichte über Einsamkeit, Menschsein und Ausbeutung zu empfinden.

Die Kurzgeschichte „The Orange Tree“ von Maria Dahvana Headley ist 2017 in der Anthologie „The Weight of Words“ erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2018“, herausgegeben von N.K. Jemisin und John Joseph Adam.

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