Spirou in Berlin (von Flix)

Graf von Rummelsdorf ignoriert eine Kongresseinladung nach Ost-Berlin. Kurz darauf wird der Wissenschaftler unter den Augen Spirou und Fantasios entführt. Alle Spuren führen nach Ost-Berlin und so reisen die beiden Abenteurer in die DDR. Dort erfahren sie, dass der Graf sich kurzfristig doch entschieden hat, an dem Kongress teilzunehmen, derzeit aber nicht zu sprechen sei. Spirou findet das verdächtig, Fantasio zunächst nicht. Doch es dauert nicht lange bis die beiden getrennt werden und ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Volkspolizei, Stasi und Militär machen. Denn von Rummelsdorf wird von den kurz vor dem Bankrott stehenden Führern der DDR dazu gebraucht, um der Diktatur aus der Patsche zu helfen: Mit einer Mixtur von Rummelsdorf soll eine Maschine Kohle in Diamenten verwandeln und die DDR reich machen.

„Spirou in Berlin“ erzählt eine aberwitzige Geschichte vor „Kalter Krieg“-Kulisse. Es geht hier auf mehreren Ebenen, um den Fortbestand der DDR. Auf der einen Seite versuchen Militärs und Politiker den drohenden Bankrott abzuwenden, indem sie einem unbekannten Antagonisten mit Vollmachten ausstatten die Diamentenmaschine zu entwickeln. Der Antagonist stellt sich als alter, sadistischer Bekannter heraus. Der Plot erinnert in seinem Größenwahn – wertlose Ressourcen in Edelmetalle umzuwandeln ist schließlich ein alter Alchimistentraum – an die klare Aufteilung in Gut und Böse des Kalten Krieges. Mit den Diamanten auf ihrer Seite könnte die DDR noch lange fortbestehen und den verhassten kapitalistischen Westen in den Schatten stellen. Auf der anderen Seite ist die Bevölkerung 1989 natürlich längst nicht mehr mit den Idealen der „demokratischen“ Republik einverstanden. Widerstand gärt an jeder Ecke. Spirou kommt so rasch mit einer Dame des Widerstands in Kontakt. „Spirou in Berlin“ zeichnet ein differenziertes Bild oppositioneller Gruppen, die gleichzeitig voller Tatendrang und Angst vor der Staatsgewalt sind, die aus unangepassten Hippie und konservativeren Kirchenkreisen entstammen. Der Leser weiß natürlich, dass der DDR keine lange Zukunft mehr beschieden ist. Flix löst dieses Problem, indem sein Comic die Frage thematisiert welche Rolle Gewalt bei der Wende spielen sollte.

Denn so unterhaltsam, aberwitzig und abwechslungsreich die Szenerien in Ost-Berlin sind, so wenig kaschiert Flix den Terror und die Gewalt der Staatsmacht. Dem Überlebensziel des Staates wird alles unterstellt, die Forscher im Dienste der Republik haben freie Hand. „Ich liebe Überwachungsstaaten“, ruft der Entwickler der Diamantenmaschine recht früh aus – in einer Diktatur ist die Verfolgung seiner Feinde deutlich einfacher als in anderen Ländern. Nachdem er sich anfänglich von der Propaganda etwas blenden lässt, erlebt Fantasio die brutalen Gefängnisse der DDR, während Spirou auf seiner Flucht die brachiale Gewalt der Sicherheitskräfte spürt. Wie weit die Militarisierung der DDR ging, zeigt Flix am „Schönsten“ in einer der letzten Verfolgungsszenen. Geflüchtet in letzter Sekunde eilen Spirou, Fantasio und ihre Gefährten durch ein edles Restaurant auf dem Fernsehturm. Der Chefkellner, natürlich versteckter Mitarbeiter der Stasi wird von seinen Vorgesetzten über die Anwesenheit von Flüchtlingen informiert und zieht sofort ein automatisches Gewehr. Das ist natürlich überzeichnet, steht aber für die immer währende Anwesenheit von Spitzeln und dem dadurch entstehenden Schatten staatlicher Gewalt. Wer Widerstand leistet hat dadurch Opfer zu ertragen und vor allem zu betrauern. Das kann leicht in Hass auf das Regime und den Wunsch nach Gewalt führen. In den ruhigen Momenten des Comics wird diese Debatte so gut wie es in einem Comic eben geht ausgetragen und die Bedeutung gewaltfreien Widerstands herausgestellt.

Und so ist „Spirou in Berlin“ nicht nur wunderbare Unterhaltung. Indem der Comic aufzeigt wie leicht es ist angesichts der Gewalt des Staates mit Gewalt zu reagieren, setzt der Comic dem gelungenen gewaltfreien Widerstand, der das Regime letztlich zu Fall brachte, ein Denkmal. Und so freut man sich in dem ersten in Deutschland geschriebenen und gezeichneten „Spirou“-Band nicht nur über die vielen offenen und versteckten Witze, sondern auch über die gelungene Story.

 

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