The Bookstore at the End of America (von Charlie Jane Anders) & Our Aim is not to Die (von A. Merc Rustad)

Die beiden Kurzgeschichten sind Teil der Anthologie „A People’s Future of the United States“, die 2019 im „One World“-Verlag erschienen und von Victor LaValle und John Joseph Adams herausgegeben wurde. Die Anthologie schickt sich an, in einer Mischung aus lichten und dunklen Themen Utopien und Dystopien miteinander zu verbinden und Charaktere, die zwar an ihrer jeweiligen Gegenwart verzweifeln, dabei jedoch nicht aufgeben, sondern für eine bessere Welt kämpfen, in den Mittelpunkt zu stellen.

„The Bookstore at the End of America“ von Charlie Jane Anders beschreibt eine Zukunft, in der sich die USA in eine deutlich konservativere Richtung entwickelt haben, während sich Kalifornien abgespalten hat und einen deutlich liberaleren Weg eingeschlagen hat. Die beiden Seiten streiten sich um Ressourcen, die Lebensstile ihrer Bewohner sind nicht mehr miteinander vereinbar. Molly besitzt jedoch einen riesigen Buchladen im Grenzgebiet. Hier finden beide Seiten Gedankenfutter. Doch die Spannungen zwischen beiden Seiten machen auch vor der Literatur nicht halt und Molly wird zunehmend von beiden Seiten angefeindet. Verdächtiger als der Feind ist schließlich nur, wer sich für keine Seite entscheidet. Als offene Gefechte im Grenzgebiet ausbrechen finden sich Molly, ihre Tochter Phoebe sowie eine Reihe Kunden von beiden Seiten im Buchladen gefangen. Die Spannungen zwischen den Amerikanern und Kaliforniern drohen überhand zu nehmen. Phoebe rettet die Situation, indem sie die Gruppe zwingt, eine Buchclubsitzung durchzuführen. Anstatt über das ideologisch trennende diskutieren die Kunden nun über das menschliche Verbindende.

Die Kurzgeschichte arbeitet mit einer viel zu oft bemühten Zukunftsversion, in der sich Amerika in eine konservative und eine liberale Seite aufteilt. Das würde vermutlich nicht funktionieren. Diese Szenarien verkennen, dass in allen Teilen der USA und vor allem in den Städten liberale Menschen wohnen, während es genau so in allen Bundesstaaten ausgesprochen konservative Bürger gibt. Das Ergebnis einer Abspaltung wäre wahrscheinlich ein weiterer Bürgerkrieg, auf jeden Fall aber keine so saubere Trennung wie hier beschrieben. Auch wirkt Molly etwas zu sehr wie eine natürliche Stimme der Vernunft. Natürlich ist ihre Position, das man nicht jedes Extrem mitmachen muss, verständlich. Sie ist aber etwas zu perfekt dargestellt, um wirklich glaubwürdig zu sein.

Die Erzählung überzeugt dafür mit dem atmosphärischen Buchladen. Die Beschreibung der verschiedenen Abteilungen, in denen die Bewohner der zwei amerikanischen Staaten zwar aneinander vorbeigehen, sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen jedoch nie begegnen, ist sehr stark. Anders gelingen viele sehr starke zwischenmenschliche Szenen. Viele Kunden sind sehr überzeugend dargestellt, ganz besonders stechen aber die Kinder hervor. Sie kommen nie richtig direkt zu Wort. Doch die Tatsache, dass Phoebe mit beiden Seiten spielt und in gewisser Weise beide Seiten übereinander Bescheid wissen, sich aber von der Skepsis ihrer Eltern leiten lassen, zeigt sehr gut, wie sich Konflikte auch auf unbeteiligte übertragen können. Die Lesung am Ende zeigt, dass bei allem Trennenden, bei allen ideologischen Gegensätzen, es immer menschliche Gemeinsamkeiten geben wird. Diese Mitte auszukundschaften, ist schwierig und vermutlich nur in solch extremen, hier geschilderten Situationen möglich. Die Arbeit ist aber wichtig und wertvoll, möchte man friedlich im Gegensatz nebeneinander leben. „The Bookstore at the End of America“ ist daher trotz der oberflächlichen politischen Beschreibung nicht nur wegen der dichten Atmosphäre, sondern auch wegen des engagierten Plädoyers für Maß und Mitte lesenswert.

„Our Aim is not to Die“ von A. Merc Rustad beschreibt keine Trennung der USA, sondern einfach nur eine konservative Revolution. Transsexuelle Menschen und jeder, der irgendwie von der Norm abweicht, muss hier in ständiger Angst leben. Denn die Regierung kontrolliert mithilfe sozialer Medien jede Normabweichung. Wird eine festgestellt, wird das Gehirn des jeweiligen Bürgers rekalibriert. In dieser Geschichte erhält Sua den Termin für solch eine Prüfung, die sie vermutllich nicht bestehen wird. Also wendet sie sich ann Maya, über die sie an eine phantastische App gelangt. Hinter dieser App steht ein Computerprogramm, das ihre elektronischen Spuren so arrangiert, dass sie die Prüfung bestehen könnte. Sua ist zunächst skeptisch, doch als sie die Hintergründe erforscht, erfährt sie von den Plänen der künstlichen Intelligenz hinter dem Programm für eine liberale Revolution.

Auch Rustads Geschichte arbeitet mit einem ausgesprochen stereotypen Antagonisten. Das ist so überspitzt skizziert, dass in der gesamten Kurzgeschichte gar kein Vertreter der Gegenseite auftreten braucht. Die konservative Elite und ihre brutalen Methoden kann man sich hier auch ohne direkten Auftritt vorstellen. In „Our Aim is not to Die“ hat die amerikanische Gesellschaft einen kollektiven Rückschritt gemacht und ist zu einem moralischen Überwachungsstaat verkommen. Das ist zwar eine spannende Kulisse für die Handlung, aber auch etwas stereotyp.

Abgesehen davon lässt sich an der Kurzgeschichte jedoch nichts aussetzen. Die Kurzgeschichte ist emotional. Die Furcht der Protagonisten vor der Rekalibrierung ist immer spürbar. Ihr schwieriges Leben im Geheimen, ihre komplizierten Vernetzungsversuche und ihr Ringen um kleine, sorgenfreie Momente sind mitreißend. Die Kurzgeschichte ist spannend. Denn die Autoritäten sind überall. Jeder Post in sozialen Netzwerken wird untersucht, ständig stehen Strafen im Raum und immer wieder entgehen die Charaktere haarscharf einer Enthüllung. Die Kurzgeschichte ist darüber hinaus nachdenklich und vielschichtig. Denn auch wenn das Szenario, das Rustad beschreibt, unrealistisch ist, so beschreibt es wahrscheinlich die Realität vieler, die sich in der Gesellschaft nicht wiederfinden. Selbst wenn man nicht rekonditioniert wird, so gibt es noch immer viele Verhaltensweisen, durch die man vielleicht nicht von der ganzen Gesellschaft, wohl aber vom eigenen privaten, nicht immer toleranten Umfeld verachtet wird. Die resultierende Situation käme der hier beschriebenen Gesellschaft schon sehr Nahe. Die Lösung in Form einer künstlichen Intelligenz ist zudem sehr verwirrend. Denn es ist keinesfalls klar, ob die von ihr angezettelte Revolution tatsächlich nur emanzipatorische Elemente enthält. Genau so gut könnte es sein, dass die unterdrückten Minderheiten einem neuen Unterdrücker Tor und Tür öffnen. Letztlich steht das Computerprogramm vermutlich aber eher für die Erinnerung, dass man sich gemeinsam wehren kann. Während eine einzelne Person gegenüber gesellschaftlichen Normen machtlos ist, kann eine Gruppe diese verändern. Liest man diesen Gedanken in die Geschichte hinein, beendet man sie nicht nur tief bewegt, sondern auch optimistisch nachdenklich gestimmt – also genau mit dem Gemütszustand, den die Herausgeber der Anthologie erreichen wollten.

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