Tasting Notes on the Varietals of the Southern Coast (von Gwendolyn Clare)

Eine Weinkennerin zieht mit ihrem Begleitschutz durch ein Kriegsgebiet. Der Imperator hat angeordnet, aus dem sterbenden Land erlesene Weine an seinen Hof zu bringen. Um an die Weinberge zu kommen, hat er einen seiner Magier eine Krankheit entwickeln lassen. Diese tötet die Qati, die Bewohner der Region, nicht aber die Soldaten und Mitarbeiter des Imperators. Der Weinkennerin stellen sich dennoch regelmäßig Hindernisse in den Weg. Als sie endlich mit ihrer Aufgabe fertig ist, verkostet der Magier, der die Krankheit entwickelt hat von den ausgesuchten Weinen. Dabei erfährt die Weinexpertin, dass der Magier in den Toten seiner Krankheit die Gesichter seiner Familie sieht. Nach dem Gespräch bringt sich der Magier um und die Weinkennerin fragt sich, ob die vielen Toten den guten Wein wert sind.

Die Geschichte ist in leichter Sprache erzählt. Die Expertin zieht von Weingut zu Weingut, verkostet die Weine und regt sich über jede Behinderung ihrer Arbeit auf. Den vielen Toten der Krankheit steht sich gleichgültig gegenüber. Nur wenn sie ihr eine Belastung bei ihrer Arbeit werden, ist sie offen genervt. Der Leser weiß zunächst nichts über die Hintegründe der ausgebrochenen Pest. Man wundert sich, dass die Soldaten keinerlei Furcht vor Ansteckung haben, ahnt aber noch nicht, dass die Krankheit selbst Teil der Kriegsführung ist. Der Geshcichte gelingt es sehr gut, dass man mit jeder Zeile ein schaurigeres Gefühl bekommt. Die engagierte Mitarbeiterin des Imperator stellt sich dadurch als noch kaltherziger heraus als zunächst angenommen. Aber letztlich ist es diese Einstellung, die Kriege erst möglich macht. Nur dadurch das Menschen in etwas mächtigeren Positionen, dem massenhaften Leid des Krieges gleichgültig gegenüberstehen bzw. diesen durch ihre nicht immer nur kriegsbezogenen Taten unterstützen, können Vernichtungsfeldzüge wie der hier beschriebene stattfinden.

Und auch deswegen ist der Selbstmord des Magiers aufwühlend. Dem Magier ist die schwere seiner Tat bewusst und war sie auch bewusst bevor er die Krankheit entwickelte. Doch um seine Familie zu beschützen, musste er den Wünschen des Imperators folgen. Und anders als bei der rücksichtslosen, einzig auf ihr Ziel fokussierten Weinkritikerin, ist dem Magier sehr wohl bewusst, dass er einen großen Teil zum massenhaften Kriegesleid beigetragen hat. Da auch in der Realität viele Menschen durch ihre soziale Einbettung dazu gezwungen sind, gegen ihr eigenes Gewissen zu handeln, ist dieser Handlungabschnitt sehr bewegend.

In einem Interview verweist Clare auf die Aufzeichnungen eines Kochs aus dem 14. Jahrhundert aus denen Historiker wichtige Schlüsse auf Schlachten des 100-jährigen Krieges ziehen können. Der Kochersatz des selbstzentrierten Weinkenners trägt hier wiederum seinen Teil dazu bei, um dem Leser Stück für Stück den unter dem Deckmantel eines Krieges verübte Massenmord an einem Volk, um an deren Weinberge zu kommen, näher zu bringen. Der Leser schwankt dadurch zwischen dem Schmunzeln über die zynische Weinkennerin und dem Horror des sich almächlich abzeichnenden Massenmordes.

Die Kurzgeschichte „Tasting Notes on the Varietals of the Southern Coast“ von Gwendolyn Clare ist 2017 im „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2018“, herausgegeben von N.K. Jemisin und John Joseph Adam.

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