Leere Herzen (von Juli Zeh)

In der nahen Zukunft wurde Angela Merkel durch eine Regierung der Besorgten Bürger Bewegung abgelöst. Während die neue Regierung eine rechte Maßnahme nach der anderen verabschiedet und die Demokratie in Deutschland Stück für Stück abbaut, hat die Öffenltichkeit längst resigniert. Britta Söldner aus Braunschweig hat sich diesem Trend angepasst. Sie verachtet Menschen, die noch Träume über eine gerechtere und bessere Zukunft hegen, innerlich. Stattdessen konzentriert sie sich ganz auf ihre Familie und ihre erfolgreiche Karriere in ihrer Therapieagentur „Die Brücke“. Niemand weiß jedoch, dass Britta und ihr Agentur-Partner Babak Hamwi eigentlich mit selbstmordgefährdeten Menschen arbeiten, deren Absichten testen und diese letztlich an Terrororganisationen verkaufen. Dieses Geschäftsmodell ist ausgesprochen erfolgreich und hat den Terror-Markt „reguliert“. Ein stümperhafter Anschlag auf den Leipziger Flughafen setzt diesem Erfolg jedoch ein Ende und stört Brittas ruhiges Leben: War der Anschlag Zufall oder hat ihre Agentur (brutale) Konkurrenz bekommen?

„Leere Herzen“ ist zu einem großen Teil ein Pamphlet. Natürlich sind rechte Bewegungen eine Gefahr. Die tatsächliche Gefahr für unsere Demokratie geht jedoch von der stetig schweigenden Mehrheit aus. Sei es fehlendes Interesse oder die grassierende Resignation, das mangelnde Engagement erlaubt es den reaktionären Kräften die Macht zu übernehmen. Ohne die Hoffnung, dass demokratische Entscheidungen etwas zum Besseren verändern können, untergräbt sich die Demokratie selbst. Zeh illustriert diese Gefahr beispielhaft an der desillusionierten, zynischen und letztlich aber auch zutiefst unglücklichen Britta Söldner. Britta hat ein gelungenes Geschäftsmodell gefunden, distanziert sich von allen moralischen Implikationen und denkt kaum an gesellschaftliche Konsequenzen. Im Laufe des Romans gerät dadurch ihr eigenes Leben in Gefahr, wodurch sie beginnt über die Folgen ihres Tuns nachzudenken. Am Ende trifft sie eine Entscheidung, die zwar nicht das von der demokratischen Minderheit gewünschte, „richtige“ Ergebnis herbeiführt, dafür aber den Platz lässt, dass dieses Ergebniss mit den „richtigen“, statt ihren bisherigen, zynischen Maßnahmen erreicht wird. Trotz allen Zynismus, der in „Leere Herzen“ an den Tag gelegt wird, lautet die Aussage dennoch, dass Demokratie immer auch bedeutet, dass Erfolge auf dem langwierigen Weg gesellschaftlicher Organisation erreicht werden. Dabei müssen Menschen überzeugt werden, anstatt dass sich eine Elite gegenseitig und abgekoppelt von der Bevölkerung bekämpft.

Trotz des pamphletischen Charakters entwickelt der Roman ein hohes Niveau and Spannung und Unterhaltung. Britta fühlt sich gejagt, entwickelt Panikattacken. Ihre Suche nach dem Gegner, ihre Flucht vor den Konseqeunzen sind temporeich und spannend geschildert. Der den Roman durchdringende Zynismus, der sich neben Britta vor allem in einer Reihe mehr oder weniger skuriler und in einem Fall gar liebenswürdiger suizidinteressierter „Klienten“ Brittas äußert, ist manchmal nachdenklich, meist aber auf unterhaltende Art bitterböse. Das Geschäft mit dem Terrorismus wurde von Britta zwar gezähmt, den brutalen Charakter der Gewalt kann sie aber nicht ändern. Und so schlägt diese in „Leere Herzen“ nach einer ruhigeren Zeit wieder zurück. Insgesamt ist die zynische Agentur das stärkste Element des Romans: In einer zynischen Welt ohne Träumer sind es ausgerechnet die Desillusionierten und Lebensmüden, die den verbliebenen Träumern ihr Leben leihen um gesellschaftlichen Wandel mit Gewalt herbeizubomben.

Die größte Schwäche des Romans sind seine Charaktere. Es gibt eine Reihe interessanter Dynamiken. Darunter sticht vor allem Bettinas Beziehung zu einer ausgesprochen jungen „Klientin“ der Brücke hervor. Die junge Julietta hat einen unbedingten Willen zu sterben, der Bettina geradezu suspekt vorkommt. Doch diese starken Szenen müssen hinter dem Zynismus der Handlung immer zurückstehen. Die Charaktere werden daher hauptsächlich ironisch, negativ und dadurch sympathielos geschildert. Das ist nicht nur schade, weil man dadurch weniger mit Bettinas Flucht mitfiebert. Es verhindert auch, dass Bettinas Gesinnungswandel am Ende wirklich überzeugend ist: Von einer Frau der absoluten Eigenschaften ist sie auf einmal abwägend und an moralischen Grundsatzfragen interessiert. Mit weniger überspitzten Protagonisten wäre dieses Ende deutlich stärker.

„Leere Herzen“ entführt den Leser in eine nahe Zukunft mit wenig hoffnungsvollen Momenten. Der Roman ist ein Plädoyer für mehr Engagement, weniger Zynismus und mehr Debatten darüber wie wir eigentlich miteinander leben wollen. Dies geschieht in der Form einer überspitzten Darstellung der resignierten, aber pragmatischen Bettina, die im Laufe des Romans bis an die Grenzen der Belastbarkeit gejagt wird, nur um am Ende den Wert moralisch richtiger Prozesse zu erkennen. Obwohl der Roman streckenweise an den überspitzt gezeichneten Charakteren leidet, ist diese Zukunftsvision spannend und unterhaltsam.

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