The Only Harmless Great Thing (von Brooke Bolander)

In dieser Alternativwelt hat die Menschheit am Ende des 19. Jahrhunderts gelernt, sich mit Elefanten zu verständigen. Und wie es sich für Menschen gehört, haben sie aus diesem Kontakt umgehend Kapital geschlagen. U.S. Radium, eine Firma in unserer Welt berühmt geworden dafür, dass sie ihre hauptsächlich weiblichen Arbeiterinnen mit Radioaktivität arbeiten lies ohne diese über die Risiken aufzuklären, hat hier bereits im Jahr 1903 erkannt, dass ihre Materialien schädlich für ihre Arbeiterinnen sind. Langsam werden diese daher durch Elefanten ersetzt, die eine größere Widerstandskraft gegen Radioaktivität haben. Und so arbeiten vom Krebs zerfressene, kontaminierte Arbeiterinnen Seite an Seite von Elefanten wie Topsy. Aufgrund von Spannungen über Entschädigungszahlungen wird eine der Arbeiterinnen von einem Vorsteher attackiert und von Topsy verteidigt. Topsy tötet den Vorsteher und wird im Anschluss hingerichtet. Einige Jahrzehnte später, ungefähr zu unserer Zeit, versucht die Wissenschaftlerin Kat die Elefantengemeinschaft davon zu überzeugen, sich mit Radioaktivität zu kontaminieren, um als leuchtende Warnsignale ein bleibendes Zeichen vor Atommüllendlagern zu setzen und zukünftige Generationen zu schützen.

Die Novelette „The Only Hamless Great Thing“ verknüpft zwei historische Ereignisse. Die Elefantendame Topsy tötete 1900 und 1901 in den USA drei Menschen, darunter ihren Wärter, der sie möglicherweise misshandelt hat. In der Folge wurde sie mit dem elektronischen Stuhl qualvoll exekutiert. Ihr Tod gab der Tierrechtebewegung Rückenwind. Außerdem arbeitet die Novelette mit der Geschichte der Radium Girls. Dies sind die Arbeiterinnen von U.S. Radium, die von 1917 an mit radioaktivem Radium leuchtende Uhren hergestellt haben. Sie wurden über die Gefahren nicht aufgeklärt, einige von ihnen bemalten gar ihre Zähne mit dem Radium, damit diese leuchteten. Viele von ihnen starben frühzeitig und qualvoll an Krankheiten. Ihr Schicksal und vor allem die von ihnen angeführten Klagen führten zu deutlich verbesserten Arbeitsschutzgesetzen und -regulierungen in den USA.

Bolander vermischt diese beiden Ereignisse. Die Handlung ist verschachtelt erzählt. In einem knappen Prolog erfährt man, wie die Elefanten die Mythen über die Gefahren der radioaktiven Lagerung noch für Jahrhunderte weiter tragen. Unklar bleibt zwar, wie sie zukünftige menschliche Gemeinschaften daran hindern, die Berge zu betreten. Dennoch ist dies in stimmungsreicher und mysteriöser Einstieg – schließlich weiß der Leser bis dahin ja nichts über die Hintergründe der Welt.

Die Ereignisse im Jahr 1903 werden hauptsächlich aus der Perspektive einer Arbeiterin bei U.S. Radium erzählt. Hier erlebt man die Ausbeutung, die ökonomischen Bedingungen, die einige Frauen dazu zwingen, jede Arbeit anzunehmen und zu allem Überfluss auch noch die Geschlechterdiskriminierung, der sie ausgesetzt sind. So verleugnet (und in der Realität verleugnete) U.S. Radium die Frauen und ihre Leiden zunächst als Geschlechtskrankheiten, die aufgrund angeblich unzüchtigem Verhalten eingetreten sind. Die daraus entstehende Qual wird durch knappe Verweise auf die Familien der Arbeiterinnen aber auch durch das Begleiten sterbender, krebserkrankter Frauen deutlich gemacht. Dieser Hauptteil der Geschichte stellt aber nicht nur die Ausbeutung überzeugend dar. Er erschafft auch ein sensibles Bild der Elefantencharaktere. Zwischen Topsy und der Arbeiterin gibt es durchaus ihre Rivalitäten, Menschen und Elefanten verstehen sich zudem nicht komplett. Es wird auch deutlich, dass Elefanten gänzlich anders denken als Menschen. Doch beide wissen, dass sie auf der selben Seite stehen, dass U.S. Radium ihre Interessen immer hinter ihre Profitinteressen anstellen wird. Daher zögert Topsy kaum als sie zur Verteidigung ihrer Kollegin schreitet. Diese Solidarität zwischen Mensch und Elefant ist berührend, spiegelt die historisch Solidarität wieder, die in schwierigen Sammelklagen bessere Arbeitsschutzmaßnahmen erstritten hat und berührt in der Verbindung fremder Denkweisen. Gerade in Zeiten, in denen Solidarität oft als altmodisch abgetan wird, ist „The Only Harmless Great Thing“ ein bewegendes Beispiel ungewöhnlicher Solidarität.

Gleichzeitig spielen die Elefanten aber nicht nur eine kuriose Rolle. Zunächst sympathisiert man mit Topsy. Sie hat immerhin die wichtigste Protagonistin gerettet, die trotz ihres Ärgers die Sympathieträgerin der Erzählung ist. Würde man mit Topsy auch sympathisieren, wenn sie wie in der Realität drei Menschen umgebracht hätte – und zwar nicht, um jemand anderen, sondern um sich selbst zu retten? Die Erzählung regt zum Nachdenken an, wann Tiere sich gegen Misshandlung rechtmäßig wehren, wann wir sie in gewisser Weise als gleichgestellt akzeptieren. Das führt zu der Rahmenhandlung, in der die Forscherin Kat in unserer Zeit (aber immer noch in der Parallelwelt) mit der Elefanten-Community darüber verhandelt, sie als lebendige Warnschilder vor Atomendlagern zu nutzen. Dieser Verhandlung zeigen sehr gelungen die Mentalität der Elefanten wieder. Sie sind stärker auf das Allgemeinwohl, stärker auf die langfristigen Folgen des eigenen Tun bedacht als die Menschen. Im Verlauf der schwierigen Verhandlungen wird Kat mehr und mehr klar, dass das größte Problem, immer die Menschen sein werden. Dass sie bei den von den Elefanten geforderten Erziehungsmaßnahmen keinerlei Rückendeckung erhält, frustriert sie so sehr, dass ihre berufliche Zukunft zuletzt unklar bleibt. Diese Rahmenhandlung tut der Erzählung sehr gut. Sie gibt noch stärker als die Haupthandlung Einblicke in die faszinierende Gedankenwelt der Elefanten in Bolanders Welt. Und sie regt zum Nachdenken darüber an, was wohl die Menschheit bräuchte, um den Schutz der Gemeinschaft und ihrer Individuen sowie die langfristigen Folgen des eigenen Wirtschaftens zu bedenken.

Durch diesen Mix aus historischen Ereignissen, transportiert und vermischt in einer Alternativwelt kreiert Bolander ein faszinierendes Szenario, das zum Nachdenken über wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausbeutung anregt. Durch die verschachtelte Struktur und den Fokus auf Emotionen wird dies zu einer bewegenden Erzählung, die ihren politischen Kern nie frontal, sondern immer durch das Leid und die Hoffnung von Mensch und Elefant transportiert. Spannung entsteht dabei zunächst durch die Faszination, die das scheibenweise verstehen dieses Szenario mit sich bringt, und im Anschluss durch die dramatischen Ereignisse um Topsy. „The Only Harmless Great Thing“ ist dadurch mitreißend und nachdenklich zugleich und ausgesprochen lesenswert.

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