In the Night Wood (von Dale Bailey)

„In the Night Wood“ war das erste Buch, das Charles Hayden in seinem Leben begegnet ist. Das einzige Werk des obskuren englischen Schauer-Autors Caedmon Hollow, veröffentlicht im 19. Jahrhundert, ist längst in Vergessenheit geraten. Es begleitet Charles jedoch bis in die Gegenwart. Während seines Studiums der Literaturwissenschaften begegnet es ihm während der Lektüre in der Universitätsbibliothek, am selben Abend begegnet er Erin. Sie ist eine entfernte Verwandte Hollows und wird kurz darauf Charles Gattin. Die Handlung setzt mehrere Jahre später ein: Erin und Charles haben ihre einzige Tochter in einem schrecklichen Unfall verloren. Außerdem erbt Erin das einstige Anwesen Hollows in Yorkshire. Das Paar versucht dort einen Neubeginn: Erin erholt sich von dem Tod ihrer Tochter, während Charles sich in die Arbeit an einer Biographie Hollows stürzt. Doch in dem riesigen Anwesen ist nicht alles so wie es scheint und außerdem scheint es eine Verbindung zwischen dem Inhalt des Romans und dem Verschwinden einiger Kinder in der Nähe des Anwesens zu geben. Charles und Erin lassen die Ereignisse nicht los, es zieht sie in den dunklen Wald hinter dem Anwesen Hollows.

Die Horrorgeschichte in „In the Night Wood“ entfaltet sich langsam und bringt arg konstruiert alle Elemente einer klassischen Gruselszene ins Spiel. In einem fremden, merkwürdigen Land, mit eigenartigen Menschen einer sich offen gegeben aber doch geschlossenen Dorfgesellschaft finden sich Charles und Erin in einem ausfallend großen und eben so alten wie leeren Anwesen zurecht. In dieser emotionalen Leere entfremdet sich das Ehepaar zudem weiter voneinander: Charles stürzt sich in seine Arbeit, Erin in das Zeichnen und Medikamente. Die Einsamkeit der beiden Protagonisten wächst dadurch in jedem Kapitel. Und während der gesamte Hintergrund, von den zufälligen Begegnungen bis hin zu der recht plötzlichen Erbschaft, allesamt etwas über konstruiert wirken, überzeugt die emotionale Schilderung des Ehepaars.

Denn von Beginn an wird deutlich, dass Erin und Charles einander brauchen. Sie beide haben ihre Tochter geliebt und der jeweilige andere Ehepartner ist der einzige Mensch, der diese Beziehung nachvollziehen kann. Der Unfall der gemeinsamen Tochter ist ausgesprochen tragisch: Charles hat über eine Weile eine Affäre unterhalten und stand vor der Entscheidung zwischen Erin und einem Neuanfang. Am Ende entschied er sich für Erin, nicht nur wegen ihr, sondern auch wegen des gemeinsamen Kindes, das kurz darauf wegen einer Nachlässigkeit von seiner Seite aus in einem Haushaltsunfall verstirbt. Während Erin also gegen ihre Schuldvorwürfe an Charles ankämpft, muss Charles mit seinen eigenen Schuldgefühlen zurecht kommen. Diese starken Gefühle machen beide sprachlos und so sind sie während des gesamten Romans unfähig, miteinander zu reden und einander zu unterstützen. Wie kommt man aus solch einem unmöglichen Sog raus?

An diesem Moment setzt die Horrorhandlung ein. Durch seine Recherchen begegnet Charles mehr Menschen als Erin. Dabei kommt er auch einer Frau aus dem Dorf und ihrer Tochter näher. Doch die Erinnerung an den Tod seiner eigenen Tochter hält ihn davon ab, denselben Fehler noch einmal zu begehen. Er erfährt dadurch jedoch, dass Kinder auf mysteriöse Art in dem Dorf verschwinden – und zwar auf ähnliche Art wie in Hollows Roman geschildert. Es entspinnt sich ein Geflecht aus lokalen Legenden und Märchen, in deren Mittelpunkt immer der undurchdringliche Wald hinter Hollows Anwesen steht. Sowohl Charles als auch Erin haben durch den Wald Begegnungen, die beide als Wahn bzw. als Manifestationen ihrer eigenen Gefühle interpretieren. Im Laufe des Romans wird jedoch immer deutlicher, dass tatsächlich brutale Vorgänge im Wald geschehen. Leider führt dies zu einem viel zu hektischen Höhepunkt, in denen die Hintergründe der Morde zwar weitestgehend klar sind, die Fallhöhe für die Charaktere ausreichend hoch ist, um mitzufiebern, aber alles in einem Hauen und Stechen endet, das der sonst so aufwendig vorbereiteten Handlung nicht gerecht wird. Das schnelle Ende suggeriert aber zumindest, dass durch die am Ende gemeinsame Bezwingung des Bösens, Erin und Charles wieder zueinander finden. Wenn man die eigenen Dämonen also nicht austreiben kann, so hilft vielleicht zumindest das gemeinsame Bekämpfen echter Dämonen.

Dank des rustikalen, teilweise vielleicht zu dick auftragendem epischen Sprachstil ist „In the Night Wood“ fesselnd und unterhaltsam. Während das englische Yorkshire von Bailey etwas stereotyp zu einer wortkargen Gemeinschaft hochstilisiert wird, sind die Puzzlestücke für die Mordfälle dezent und spannend platziert. In Verbindung mit den leidenden Charakteren ist „In the Night Wood“ trotz der erwähnten Schwächen, hauptsächlich den vielen Zufällen und dem gehetzten Ende, ein einfühlsamer, nachdenklicher und gleichzeitig packender Roman.

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