Im Frühling sterben (von Ralf Rothmann)

Walter und Fiete werden im Frühjahr 1945 von der Waffen-SS im Alter von 17 Jahren zwangsrekrutiert und nach einer knappen Ausbildung an die Ostfront entsandt. Während Walter Versorgungsfahrten übernimmt, wird Fiete in Kampfhandlungen geschickt. Angesichts der immer aussichtsloseren Lage desertiert er, wird gefasst und anschließend von seinen Mitkämpfern, unter anderem Walter, exekutiert.

Walters Kriegserfahrung wird in dichten, eindrucksvollen Bildern zu einem fesselnden, spannenden und beeindruckenden Bild einer brutalen Jugend. „Im Frühling sterben“ ist dadurch ein Anti-Kriegsroman, der die Sinnlosigkeit des Tötens und Sterbens in einem längst verlorenen Krieg eindrucksvoll erfahrbar macht. Die Brutalität der Waffen-SS, die Folgen des Totalitarismus für die einzelnen Soldaten und zwischen der sich abzeichnenden Niederlage der Fanatismus einiger Weniger, die weiterhin junge Männer in den Tod zwingen. Hier werden vermeintliche Werte hochgehalten, die letztlich jedoch nur dazu führen, dass noch mehr Soldaten und Zivilisten den Tod finden.

Aus Walters Perspektive wird zudem deutlich, wie unterschiedlich gelitten wird. Zwar werden auch kommandierende Offiziere von feindlichen Geschossen getroffen, doch in seinem Plädoyer für seinen desertierten Freund wird deutlich, dass Herkunft in der Waffen-SS und im angeblich so egalitären Militär eine große Rolle spielt. Auch erlebt Walter wie Zivilisten, die seinen Kameraden gerade noch geholfen haben, aus reinem Sadismus und Willkür hingerichtet werden.

Walters Perspektive in diesem Roman ist beeindruckend. Geradezu unbekümmert vertraut der Melkerlehrling darauf, dass ihn sein Beruf vor dem Militärdienst beschützt. Als dies nicht gelingt, bleibt nur eine stoische Hoffnung, mit dem Leben davonzukommen. Ab der Zwangsrekrutierung überschlagen sich die Ereignisse. Walter wird in ein unbekanntes, tödliches Umfeld katapultiert und plötzlich nicht nur mit dem eigenen Tod konfrontiert, sondern auch mit den Verbrechen, die die Wehrmacht an Zivilisten verübt. Sein Leid dabei, am Ende den eigenen Freund erschießen zu müssen, ist der bewegende Höhepunkt dieses Romans. Genauso so eindringlich ist aber die Sprachlosigkeit und der Pragmatismus, die Walter aus dem Krieg in sein Nachkriegsleben zurückbringt: Dass er selbst an der Erschießung Fietes beteiligt war, muss er seinem Umfeld verschweigen.

Walter stammt aus einer von einem tyrannischen Vater dominierten Familie. Trotz der Abwesenheit jedweder Zärtlichkeit bemüht sich Walter während seines Einsatzes unter Einsatz seines Lebens das Grab seines gefallenen Vaters zu besuchen. Sein Vater hatte als Lageraufseher eine eigentlich sichere Stelle. Da er jedoch dabei erwischt wurde, einem Häftling mit Lebensmitteln zu helfen, wurde er an die Ostfront strafversetzt und ist dort gefallen. Für Walter ist diese Tat schwer in Einklang mit dem erlebten Bild seines Vaters zu bringen. Doch auch der seiner Familie wird durch den Krieg zerrüttet, das Verhältnis zu seiner Mutter ist nach dem Krieg stark unterkühlt. Obwohl immer höflich und dadurch respektiert, gelingt es Walter nicht wieder, ein enges freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Die Sprachlosigkeit und die Fassungslosigkeit des Krieges wirken weiter fort. Walter fühlt sich schuldig und ist schuldig für Taten, zu denen er gezwungen wurde: Er hatte keine andere Wahl, wollte er selbst den Krieg überleben.

Eingebettet ist diese fesselnde und bewegende Erzählung in die Perspektive des Erzählers, Walters Sohns, der nach dem Tod seines Vaters über dessen Leben reflektiert. Diese Szenen sind sehr knapp gehalten. Man weiß dadurch bereits zu Beginn des Romans wie Walters Leben enden wird. Am Ende findet der Erzähler das Grab seines Vaters nicht wieder, ganz so wie Walter das Grab seines eigenen Vaters nicht wiederfinden kann. Walter wusste nicht was seinen Vater gedacht hat und genau so hat sein Sohn Schwierigkeiten, sich in seinen Vater einzudenken. Diese vererbte Sprachlosigkeit in Verbindung mit der im Krieg aufgezwungenen Schuld sind die beeindruckenden Themen dieses dichten, bilderstarken und bewegenden Romans.

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