Destroy the City with Me Tonight (von Kate Alice Marshall)

Cass leidet unter dem seltenen Caspar-Williams Syndrom. Langsam aber sicher wird sie für ihr Umfeld unsichtbar, jeder, den sie kennt, beginnt, sie zu vergessen. Gleichzeitig wird sie von einer Stadt gerufen, in der sie mit neuen Fähigkeiten, aber von der Bevölkerung unbeachtet, für etwas Ordnung sorgt. Cass ist nicht allein. Ihr Freund leidet unter demselben Syndrom. Doch als sich eine Heilung für ihre Krankheit auftut, weigert er sich. Er schlägt vor, mithilfe einer von ihm gebauten Maschine, die Stadt zu zerstören. Anschließend wäre das Paar wie nach der Heilung frei, könnte aber die neuen Kräfte behalten. Cass lehnt das Angebot ab und tötet ihren Freund. Da sie weiß, irgendwann in Versuchung zu geraten, die Maschine zu nutzen, nimmt sie die Heilung an.

In wenigen Sätzen erfährt der Leser von der mysteriösen Krankheit, unter der Cass leidet. Bis zum Schluss ist nicht gänzlich klar, was diese bedeutet. Cass scheint sich in eine Art Superheldin für eine Stadt zu verwandeln. Allerdings hat sie dieses Leben weder gewählt, noch ist sie mit ihm zufrieden. Denn mit ihren Kräften geht eine völlige Entwurzelung einher. Weder steht sie mit ihrer Familie weiterhin in Kontakt, noch kann sie neue Beziehungen aufbauen. Im Gegenteil: Selbst ihren Freund, der sie über alles liebt und für den sie ebenfalls Gefühle hegt, vergisst sie regelmäßig und muss sich erst wieder mühselig vor Augen führen. Dieses Bild ist sehr stark. Die Liebe ihres Freundes – der Cass anders als alle anderen nicht vergisst – wird dadurch ausgesprochen prägnant in Szene gesetzt. Wirklich herzzerreißend ist jedoch die kurze Begegnung zwischen Cass und ihrer Mutter, in der sie von der Möglichkeit einer Heilung erfährt. Es kostet ihre Mutter all ihre Kraft, sich nur für wenige Minuten an ihre Tochter zu erinnern.

Unklar bleibt dabei die Rolle der Stadt. Cess ist an sie gebunden, der Schmerz, sie zu verlassen wäre untragbar. Gleichzeitig scheint die Stadt Cess zu nutzen, um für etwas Ordnung zu sorgen. Cess ist so etwas wie eine Superhelding (die Kurzgeschichte erschien in einem Sammelband über die „Menschen hinter der Maske“, also mit einem Superheldenfokus). Davon bekommt man in der Geschichte relativ wenig mit. Allerdings rettet Cess die Stadt vor ihrem Freund, der in einer Mischung aus verzweifelter Liebe und Angst vor dem Verlust seiner Kräfte, die ganze Stadt in die Luft jagen möchte. Im Zweifel steht Cess zu der Stadt, die sie aus ihrem Leben gerissen hat und in keinem Augenblick Dankbarkeit für ihr Taten entgegengebracht hat. Dies mag man auch als eine starke Metapher für die Hassliebe lesen, die viele Großstädter für ihre Heimat empfinden, eine Mischung aus Resignation und grenzenloser Liebe. Vermutlich ist es aber eher eine Metapher für das Pflichtbewusstsein klassischer Superhelden, die regelmäßig mit dem Elend ihrer Städte konfrontiert sind und diese doch bedingungslos verteidigen.

Auf sehr engem Raum zeichnet Marshall in „Destroy the City with Me Tonight“ das Bild einer grausamen Krankheit, ausbeuterischer Städte und einer beeindruckenden, wenn auch fehlgeleiteten und letztlich tragischen Liebe. Über allem steht die Frage, was die besten Kräfte nutzen, wenn man dadurch isoliert und unsichtbar wird. Dieser Mix ist so fesselnd wie unnahbar und wird dadurch eine starke und nachdenkliche Gefühlsmischung.

Die Kurzgeschichte „Destroy the City with Me Tonight“ von  Kate Alice Marshall ist 2017 in der Anthologie „Behind the Mask“ erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2018“, herausgegeben von N.K. Jemisin und John Joseph Adam.

Add a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert