Becoming Myself (von Irvin D. Yalom)

Irvin Yalom ist ein Psychater und Autor von Romanen, wie z.B. von „Und Nietzsche Weinte„. Desweiteren ist er einer der Begründer der Gruppentherapie sowie der existentiellen Psychologie. Außerdem hat er bekannte Bücher mit intensiven Fallstudien seiner Patienten verfasst. In „Becoming Myself“, das er als sein letztes Buch geplant hat, blickt er auf seine Karriere und sein Leben zurück. In kurzen, klaren Kapiteln erinnert er sich an erinnerungswürdige Therapiesitzungen, aber vor allem an seine Kindheit, seine Jugend und sein stetes Streben danach, als Familienvater seine eigene, professionelle Neugier zu befriedigen und seine eigenen Sorgen und Ängste unter Kontrolle zu halten.

Das Buch ist dabei in sehr kurze und knappe Kapitel eingeteilt. Durchgehend hält Yalom einen sehr literarischen Stil. Kein Kapitel kommt nüchtern daher, in allen kommuniziert Yalom die Emotionen, an die er sich erinnert, gleichzeitig klar und abgeklärt und ungeschönt. Das liest sich ausgesprochen angenehm und gibt in jedem Abschnitt neue Denkanstöße. Yalom beschreibt die Herausforderungen, die er gespürt hat – von dem schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter bis hin zum Älter werden -, beschreibt die von ihm wahrgenommenen Schwächen – die freilich angesichts seiner Leistungen mitunter etwas eitel wirken -, konzentriert sich aber hauptsächlich auf besondere, erinnerungswürdige Ereignisse. Vieles davon zeigt, wie man mit Dankbarkeit auf ein (wie gesagt sehr erfolgreiches) Leben zurückblicken kann. Yalom hört nicht auf zu betonen, wie dankbar er für seine Familie ist, zeigt aber auch wie viele Momente er in seinem Leben genossen hat.

Interessant sind dabei vor allem seine Auseinandersetzungen mit Patienten. Dadurch erlebt man wie Yalom die Lektionen, die er im Leben gelernt zu haben denkt, in seiner Arbeit weitergibt. Genau so spannend sind seine Kapitel über seine Hauptwerke. Es gelingt ihm dabei sehr gut, seine Gedanken und Ziele für jeden Roman, jedes Lehrbuch zu vermitteln. Auch wenn man das meiste von Yalom nicht gelesen hat, nach „Becoming Myself“ ist sowohl das Interesse geweckt als auch die Hauptthemen von Yaloms Denken skizziert. Yaloms hier beschriebener Drang, sich selbst literarisch weiterzubilden und Lehren aus der Literatur in die Psychologie sowie vor allem in seiner existentiellen Arbeit in die Beschäftigung mit dem Tod einzubringen, ist faszinierend. Und dank seines klaren, literarischen Stils sind selbst Nichtigkeiten faszinierend.

Andererseits ordnet „Becoming Myself“ wenig ein. Unter aller Dankbarkeit über Bekanntschaften geht der gesellschaftliche Kontext weitgehend verloren. Yalom hat es aus einfachen Verhältnissen zum Professor in Stanford gebracht. Seit seiner Kindheit in den 1930ern hat sich die Welt, aber auch die Gesellschaft und der Umgang miteinander verändert. Es wäre spannend gewesen, auch Yaloms Gedanken über diesen Wandel zu erfahren und inwiweit der Erfolg seiner Werke sich darin widerspiegelt. Yalom beschreibt immer mal wieder, gegen welche dominanten Strömungen in der Psychatrie er mit seiner Arbeit angeht. Es fehlt aber auch hier die Einordnung für den Laien, wo seine Arbeit in der Gesamtdisziplin steht. All dies hätte das Buch vielleicht kühler und technischer werden lassen, würde aber konkretere Hinweise hinterlassen, welchen Stellenwert Yalom für sein Leben in der Gesellschaft sieht bzw. welchen Stellenwert sein Arbeit heute in der Disziplin hat.

Letztlich geht es in „Becoming Myself“ aber eben nicht um die professionellen Ergebnisse, sondern um Yaloms Weg, der dorthin führt. Und hier ist eine Begegnung mit einer verärgerten Patientin beispielhaft: Die Patientin hat den Eindruck, dass Yalom mit seinem erfolgreichen und gelungenen Leben ihre Probleme nicht nachvollziehen kann. Daraufhin eröffnet Yalom ihr, dass er die wenigsten ihrer konkreten materiellen Schicksalsschläge teilt, dass er aber dennoch in einem Zustand ständiger Sorge (anxiousness) lebt. Genau dies erwartet den Leser hier: Eine kurzweilige Dankschrift, die keine Sorge eines erfolgreichen Lebens ausblendet und in ihrer knappen und dennoch emotionalen Art viele Denkanstöße hinterlässt. Und da die meisten dieser Denkanstöße direkt an anderer Werke Yaloms anknüpfen, ist das Buch auch vorzüglich für diejenigen geeignet, die mit seinem Werk bisher nicht vertraut sind.

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