Walk Through Walls (von Marina Abramović)

Die Performance Künstlerin Marina Abramović schreibt in ihrer Biographie komprimiert und gleichzeitig faszinierend detailliert ihr Leben auf. Von ihrer Jugend in einer zerrütteten Parteibonzen Familie in Jugoslawien tastet sie sich an ihre Versuche in Performance Kunst heran. Ein erster Schwerpunkt des Buches ist ihre künstlerische Zusammenarbeit und 12-jährige Liebesbeziehung mit dem deutschen Künstler Ulay. Die zweite Hälfte der Biographie konzentriert sich auf ihr Werk, ihre künstlerischen Ambitionen und ihre zweite große Liebesbeziehung im Anschluss an diesen ersten großen Lebens- und Schaffensabschnitt. Der Schwerpunkt liegt dabei immer auf der für Abramović zentralen Kunst, die beginnt, die Grenzen des Körpers zu erforschen, zu Aussagen über die menschliche Natur übergeht und am Ende in der Erforschung menschlicher Erforschung durch die reine Präsenz und Aura der Künstlerin kumuliert.

Abramovićs Beschreibungen sind ehrlich, direkt und manchmal erschreckend Präzise. Ihre klare Sprache ist fesselnd, die Lektüre des Buches lässt sich daher kaum unterbrochen. Ihre Gefühle erscheinen ausgesprochen ehrlich, hier werden von den hart erscheinenden Eltern bis hin zu zerrütteten Beziehungen kaum eine Extremsituation ausgelassen. Teilweise sind ihre Reflexionen natürlich selbstfokussiert, konzentrieren sich vor allem auf ihre Perspektive anstatt die ihrer Familie, Partner oder Wegbegleiter aufzugreifen. Für eine Autobiographie wird hier aber tatsächlich das Innerste auf eine beeindruckende direkt-nachdenkliche Art herausgekehrt.

Dies ist vor allem interessant aufgrund von Abramovićs beeindruckender Laufbahn. In den meisten Kapiteln klingt an, dass Abramovićs trotz ihrer Herkunft über weite Strecken ihrer Karriere de facto in Armut lebte. Die Kraft, die sie aus ihrer Kunst, ihrer Armut und der damit verbundenen Freiheit zieht und zog, ist auf den Seiten der Biographie spürbar. Genau so spürbar ist die Kompromisslosigkeit, mit der Abramović ihre Kunst über jeden anderen Aspekt ihres Lebens stellt. So werden nicht nur Partner in ihre Kunst eingebunden, auch ihre Eltern, zu denen Abramović ein kompliziertes, von Gewalt und Missverständnissen geprägtes Verhältnis hat, werden ein Teil davon. Und so ist es schwierig zu entscheiden, was eigentlich an „Walk Through Walls“ interessanter ist: Die künstlerischen Überlegungen, die Ideen, auf deren Grundlage Abramovićs Werk entstanden ist oder der Kontext, die persönlichen Umständen, unter denen in Liebe, Zerrissenheit oder Verletzungen die Werke umgesetzt wurden. Da alle Schmerzen und Verletzungen mal nüchtern, mal bewegt offen gelegt werden, wird beeindruckend deutlich wie alle Lebensereignisse von Abramović in künstlerische Kraft umgesetzt werden. Aus dieser Gemengelage, dem Einfluss, den die verschiedensten Menschen auf Abramović hatten, wird auch das Selbstbewusstsein, dass in der Biographie immer wieder anklingt verständlich: Abramović macht in „Walk Through Walls“ deutlich wie sie trotz aller Widerstände und Rückschläge, trotz der Gefahr sich von anderen vereinnahmen zu lassen, immer ihrer Kunst gefolgt ist und dabei durch harte Arbeit ein Werk geschaffen hat, dass sowohl von Kollaborationen, hauptsächlich aber von eigenen Arbeiten geprägt ist und Menschen weltweit bewegt.

Dahinter verbirgt sich eine gleichzeitig abgeklärte und doch stets immer weiter nach neuen Möglichkeiten suchende Lebenseinstellung, die kompromisslos auf die Kunst ausgerichtet ist und immer wieder neue Inspirationen verarbeiten kann. „Walk Through Walls“ komprimiert und kommuniziert diese Einstellung in eindringlichen, ehrlich wirkenden und zum Nachdenken anregenden Gedanken. Damit gelingt der Autobiographie das Kunststück gleichzeitig einen Überblick über Abramovićs Werk zu geben, der auch für Leser verständlich ist, die mit diesem nicht vertraut sind und Abramovićs Leben in starken Bildern nachzuzeichnen, die dem Leser das Gefühl geben, sich in die Autorin und Künstlerin einfühlen zu können. Dieser verdichtete Ritt durch die verschiedensten von Abramović besuchten und in ihrem Werk aufgegriffenen bzw. verarbeitenden Orte, Kulturen und Performances ist eine gelungene, nachdenkliche und geradezu spannende Lektüre.

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