How to be Alone (von Jonathan Franzen)

Franzens Essay-Sammlung klingt wie ein Ratgeber: Wie geht man mit der eigenen Einsamkeit um? Doch darum geht es in den Essays des Buches nicht. Stattdessen steht in vielen Aufsätzen die Frage im Raum, wie man heutzutage überhaupt noch Einsamkeit erreichen kann. Die Gesellschaft ist auf der einen Seite immer vernetzter, auf der anderen Seite verschwindet der eigentliche, reale öffentliche Raum. Wurden Städte früher noch um ein Zentrum gegründet, so verlaufen sich viele (gerade amerikanische) Städte mittlerweile in endlosen und anonymen Vororten. Die Haupteinkaufstraße wurde durch Shoppingcentre (und mittlerweile, die Sammlung erschien 2001) durch den Online-Handel abgelöst. Gleichzeitig aber wird das private immer öffentlicher. Staatliche Institutionen, Internetfirmen und andere Akteure sammeln immer mehr Informationen über ihre Kunden bzw. Bürger. Dieser Blick ist irritierend pessimistisch. Die vielen Vorteile solcher Entwicklungen werden streckenweise ausgeblendet. Andererseits beschreibt der Hauptessay zu der Frage der Privatsphäre („Imperial Bedroom“) ausgehend von dem Lewitzky-Skandal einen Verlust der Privatsphäre, der im Vergleich zu heutigen Datenskandalen geradezu winzig wirkt. Franzens verschiedene Reflexionen zur Bedeutung des öffentlichen Raumes, der Privatsphäre und dem Einfluss neuer Medien auf das Denken, den Umgang von Menschen miteinander und letztlich die Tätigkeit des Schriftstellers, der immer schwerer zu erhaltene Einsamkeit für seine Arbeit braucht, sind daher auch heute noch sehr aktuell.

Am unterhaltsamsten und erfahrbarsten sind jedoch Franzens soziale Reportagen. Detailreich beschreibt er einen Skandal in einem Postbüro Chicagos der frühen 90er sowie die fortschreitende Verbreitung privater Gefängnisse in den USA. In beiden Fall geht es um vermeintlich kleine Entwicklungen, die den Leser – außer er lebt in Chicago oder steht in Verbindung mit dem amerikanischen Gefängniskomplex – nur am Rande tangieren. Doch Franzen verfasst seine Reportagen nicht nur höchst spannend: Sie laden zudem zum Nachdenken über die Rolle des öffentlichen Sektors, seiner Kernaufgaben sowie seiner Funktion für die Gesellschaft ein. Letztlich erzählen die Reportagen eine Geschichte von Ungleichheit und menschlicher Natur, die gleichzeitig aufregt und engagiert.

Das intellektuelle Kernstück der Sammlung sind Franzens Essays über die Alzheimer-Erkrankung seines Vaters sowie ein langer Aufsatz über die Rolle des Romans in der heutigen, ständiger Veränderung unterworfenen Zeit. Ersteres ist eine gleichzeitig bewegende und doch nüchterne Erzählung über den Verlust eines noch lebendigen Menschen. Zweiteres ist eine lange, interessante, aber auch schwer zu greifende Abhandlung darüber welche Rolle der Roman noch in der Gesellschaft spielt. Hinter den Beschreibungen politischer Vorgänge, wissenschaftlicher Studien zum Verhalten von Lesern sowie der beobachteten Zersplitterung in Romane, die immer kleinere Zielgruppen ansprechen, verbirgt sich ein engagiertes Plädoyer für die integrierende, hoffnungsvolle und neue Wege aufzeichnende Kraft der Literatur. Und so entsteht durch die Essay-Samlung über die Zeit ein deutlich weniger zukunftspessimistischer Eindruck: Franzen erinnert daran, dass man, egal wie hektisch die Zeiten sind, sich immer bewusst und in Einsamkeit über die Gesellschaft Gedanken machen kann, in Form spannender Geschichten und Reportagen über den Zustand der Gesellschaft kommunizieren kann und auch dadurch den öffentlichen Raum und Diskurs schaffen kann, den jede Gesellschaft dringend braucht. Diese Einsichten sind heute, 17 Jahre nach der Veröffentlichung der Sammlung und angesichts der immer poralisierteren westlichen Gesellschaften wichtiger denn je.

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