Der Trafikant (von Robert Seethaler)

1937 zieht der 17-jährige Franz Hucherl von einem Dorf nach Wien. Er beginnt dort eine Lehre bei einem alten Freund seiner Mutter, der nach einer Kriegsverletzung als Entschädigung die Geschäftsführung eines Trafikants erhalten hat. Während Franz sich mit der Tätigkeit eines Zeitungs- und Zigarrenhändlers vertraut macht, bewegt sich Österreich auf den Abgrund zu, die Machtübernahme der Nationalsozialisten steht kurz bevor. Vor der Kulisse dieses dramatischen Umschwungs verliebt sich Franz und lernt den Professor Sigmund Freud kennen.

Der Trafikant spielt vor einer interessanten Kulisse. Ein Jahr lang beobachtet man den herzensguten Franz, der mit wenig Ahnung von der Welt geradezu unschuldig aus einem Dorf nach Wien zieht. Hier wird er bereits durch seine Arbeit, täglich soll er auf Anweisung seines Lehrmeisters Otto Trsnjek Zeitungen lesen, mit der verwirrenden Realität konfrontiert. Doch nicht nur verliert sein Menschenbild seine Unschuld. Im Laufe des Jahres verliebt er sich in Anezka und muss auf einmal mit einer ungeahnten Vielfalt an Gefühlen umgehen. Dieser langsame Abschied von sympathisch-schlichten Vorstellungen ist faszinierend, vor allem da Franz eine unglaublich Widerstandskraft an den Tag legt und bis zum bitteren Ende an seinen im aufgewühlten Wien kindlich wirkenden humanistischen Werten festhält.

In Wien und durch die Trafik kommt Franz mit allerlei Menschen, Kommunisten und Nazis, Großbürgertum und Arbeitern, in Berührung. Diese Typen beleben das Wien-Panorama in „Der Trafikant“ und versinnbildlichen die radikale gesellschaftliche Veränderung 1938. Wirklichen Raum erhält allerdings nur Sigmund Freud. Franz richtet sich mit all seinen Fragen in erster Linie an ihn – Trsnjek ist viel zu einsilbig, um über die Liebe Auskunft zu geben. Freud wiederum wird von Franzs jugendlicher Energie geradezu überrollt und auf eigenartige Weise berührt. Der Kontrast zwischen dem aufbrausend-verlorenen Franz und dem abgeklärten und irgendwie doch auch verlorenen Freud ist sehr gelungen. Es führt dazu, dass Franz sich intensiver mit seinen Träumen auseinandersetzt und dazu zum permanenten Störfaktor in der sonst immer geordneteren, kälteren und vor allem brutaleren Nazi-Gesellschaft wird.

Gleichzeitig gibt gerade diese Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken, Wünschen und Träumen Franz die Kraft nicht mitzulaufen, sich nicht zu kompromittieren, wenn die Nazis die Schlinge immer enger um seinen Bekanntenkreis legen. Für einen Moment hofft man so, diese Energie könnte dem Totalitarismus der faschistischen Diktatur entkommen. Doch am Ende bleiben als Optionen nur die Flucht oder das Anpassen. Wer zu beidem nicht in der Lage ist, kann allenfalls ein merkbares öffentliches Zeichen der eigenen Freiheit setzen, bezahlt dafür jedoch einen hohen Preis. And Franz zeigt „Der Trafikant“ bewegend und eindringlich diesen Weg auf.

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