Udo (mit Thomas Hüetlin)

„Udo“ spricht den Leser direkt an. SPIEGEL-Autor Thomas Hüetlin verfasst die Einleitungen der meisten Kapitel in der zweiten Person Singular. „Stell Dir vor“ ist der erste Satz fast jedes Kapitels. Dadurch wird der Leser zunächst mit Udo Lindenbergs (vermeintlicher) Perspektive auf das Thema des jeweiligen Abschnitts vertraut gemacht, bevor ein weiterer Lebensabschnitt der großen epischen Figur des deutschen Pops (Klappentext) anschließend in der dritten Person Singular erzählt wird. Dieser Stil ist gewöhnungsbedürftig. Denn in den meisten Fällen kann man sich die jeweilige Szene zwar vorstellen, näher kommt man der Person Lindenberg durch die teilweise recht oberflächlichen Einstiege jedoch nicht.

Hüetlins Wahl, Lindenbergs Biographie nicht strikt chronologisch aufzubauen, ist hingegen deutlich geschickter. Hüetlin beginnt mit einem Moment, an dem Lindenberg persönlich und beruflich am Boden liegt und sich durch den Schicksalsschlag, den Verlust seines Bruders, noch einmal aufrappelt und 2008 mit der Platte „Stark wie Zwei“ seine geniale Spätphase einleitet. Nach der Schilderung dieser schwierigen Kehrtwende springt Hüetlin zu Lindenbergs Kindheit zurück und erzählt dessen Karriere chronologisch. Das funktioniert sehr gut: Mit dem niederschmetternden Start und der gleich darauf folgenden positiven Wende ist das Interesse des Lesers nicht nur daran groß, wie Lindenbergs Leben an diesen Tiefpunkt kommen konnte, sondern auch daran, welchen Hintergrund ein Mensch haben muss, der aus solch einem Tal wieder aufsteigen kann.

Hüetlin pflegt dabei – neben den erwähnten, teilweise unnötig direkten Einstiegen – einen unterhaltsamen und rasanten Stil. Der Leser rast durch Lindenbergs Leben und dessen Karriere mit dem hohen Tempo der rockigeren Lindenberg Songs. Das ist gefällig und regt zum schnellen Weiterlesen an. Leider wird dabei an einigen Stellen zu stark auf den „Udo-Sound“ gesetzt. Einige Passagen erscheinen zu verehrend, kaum distanziert. Dieser Eindruck ist merkwürdig, denn „Udo“ spart keinen Abgrund aus. Allerdings wird eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Lindenbergs Alkoholsucht weitestgehend vermieden: Die Folgen werden drastisch aufgezeigt, die Gefühlzustände Lindenbergs jedoch fast komplett ausgeblendet. Genau so verhält es sich mit Lindenbergs künstlerischem Anspruch. Hüetlin zeichnet nach, wie sich Lindenbergs Stil verändert hat, wann er wo politisch aktiv wurde und zu welchen Themen er sich einschaltete. Aber die dahinterliegenden Motivationen und Überzeugungen werden kaum angeschnitten. Am Tragischsten ist aber, dass die Gründe für den Absturz in den 90er-Jahren kaum thematisiert werden. Genau so werden alle privaten Wünsche und Hoffnungen Lindenbergs gänzlich ausgeblendet, „Udo“ verharrt mit seinem Blick auf der öffentlichen Kunstfigur. So entsteht der Eindruck, es sei einzig der ausbleibende finanzielle Erfolg (vielleicht geschaffen von künstlerischer Verlorenheit), der eine Flucht in Parties und Alkohol auslöste.

„Udo“ macht Spaß zu lesen und gibt einen kurzweiligen Überblick über die verschiedenen Stationen in Udo Lindenbergs Leben. Dabei ist die Biographie jedoch arg inszeniert und bleibt an den interessantesten Stellen trotz der vielen Gesprächen, die der Autor geführt hat, oberflächlich.

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