Shanghaiallee (ARD Radiotatort)

In der Shanghaiallee in der Hamburger Hafencity geschieht ein brutaler Mord. Mit mehreren Messerstichen wird der Wurstfabrikant Hagedorn ermordet. Verdächtigt wird bald Immo Wilkens, ein unscheinbarer Bewohner der kleinen Stadt, in der Hagedorns Firma steht, und dessen Auto in der Nähe des Tatorts gesehen wurde. Kommissar Döring führt das Verhör. Wilkens ist sich keiner Schuld bewusst und hat zudem kein Motiv. Bald gibt es jedoch Widersprüche in seiner Geschichte und außerdem taucht eine Hassliste Wilkens mit Hagedorns Namen auf. Hauptkommissarin Breuer macht sich zunehmend Sorgen, dass Döring von dem einnehmenden Wilkens um den Finger gewickelt wird. Dieser besteht jedoch darauf, dass ausschließlich sein verständnisvoller Verhörstil zur Überführung Wilkens beitragen kann.

„Shanghailallee“ besteht einzig aus dem langen Verhör Wilkens durch Döring. Das bietet wenig Action, dafür aber ein interessantes Gespräch. Denn Wilkens ist zunächst ein unscheinbarer, aber querulantisch angelegter und in gewisser Weise interessanter Charakter. Früh treten erste Widersprüche in seinen Aussagen auf, die Wilkens jedoch immer wieder durch (scheinbar) geschickte Wendungen überspielen kann. Bald ahnt man, dass hinter diesem ruhigen und bedachten Menschen eine tragische Geschichte steht. Tatsächlich sieht sich Döring einem Menschen gegenüber, der mit dem dörflichen, geschiedenen Single-Leben, in das er geraten ist, zutiefst unzufrieden ist. Der unbändige Drang, aus seinem schlichten Job, seiner Einsamkeit und seiner Sperrigkeit zu entfliehen, trieb ihn in ein viel zu teures Doppelleben. Um dies zu finanzieren, greift er letztlich zu brutalem Mord. Diese Charakterisierung ist sehr gelungen und trägt die Episode. Trotz weniger Ereignisse ist Dörings Verhör sehr hörenswert und das mühsame Schälen der Zwiebel Wilkens gute Unterhaltung.

Weniger überzeugend sind die regelmäßigen Zwischensequenzen mit Bettina Breuer. Sie hält Döring die ganze Zeit vor, zu langsam zu arbeiten bzw. sich von Wilkens in die Irre führen zu lassen. Das funktioniert nicht, da der Zuhörer zu deutlich merkt, dass Döring Fortschritte macht. Es geht hier vermutlich eher darum, aufzuzeigen, dass auch Döring mit seinem Leben unzufrieden sein kann, dass Wilkens Appelle an Döring, ebenfalls aus seinen Zwängen auszubrechen, auch auf fruchtbaren Boden fallen könnten. So bleibt am Ende nur ein Döring, der über diesen Gedanken nachdenkt, aber kein Zuschauer, der Dörings Unzufriedenheit spüren kann. Dafür sind die Geplänkel mit Breuer nämlich zu harmlos.

Alles in allem ist „Shanghaiallee“ ein ruhiger, durch seine Charakterisierung Wilkens jedoch überzeugender Radiotatort, dem es gut getan hätte, auch seiner eigentlichen Hauptperson Döring eine anständige Geschichte zu gönnen.

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