Die Dame vom See (von Andrzej Sapkowski)

„Die Dame vom See“ ist der Abschluss der fünfbändigen Hexe-Saga. Alle Handlungsstränge überschlagen sich hier. Ciri, die das Erbe der Elfen in sich trägt, ist zwischen den Dimensionen gefangen und wird von den verschiedensten Fraktionen als Spielstein angesehen. Geralt ist verzweifelt auf der Suche nach seiner Ziehtochter Ciri, muss sich aber erst einmal mit einer großen Versuchung auseinandersetzen. Yennefer ist in einer anderen Situation. Sie wird von dem Zauberer Vilgefortz festgehalten und zudem von ihrer eigenen Loge verfolgt. Dazwischen führen die nördlichen Königreiche weiterhin einen verzweifelten Abwehrkrieg gegen das Imperium Nilfgaards aus dem Süden.

Diese vielen Handlungsstränge zusammen mit unzähligen Nebensträngen hätten den Roman leicht überfrachten können. Sapkowski präsentiert das Finale seiner Sage jedoch als eine Art Episodenroman. Die Handlungsstränge laufen hier die meiste Zeit aneinander vorbei und steuern dann doch ganz unbemerkt auf einen großen gemeinsamen Höhepunkt zu. Mal flieht Ciri aus ihrer Gefangenschaft in einer anderen Dimension, mal wachsen Geralt und Yennefer in ihrer Verzweiflung über sich hinaus und ein anderes Mal wird die große, den Krieg entscheidende Materialschlacht mit verzweifeltem Willen gefochten, nur damit die eigentliche Auseinandersetzung letztlich an ganz anderer Stelle stattfindet. „Die Dame vom See“ ist zudem verschachtelter erzählt als alle vorherigen Romane. Zwei ineinander greifende Rahmenhandlungen, in denen Akteure der Zukunft auf die bereits zur Legende gewordenen Ereignisse zurückblicken bzw. in der unsere Welt mit der Dimension des „Hexer“-Universums verknüpft wird, bilden die Bühne auf der das Finale der Sage erzählt wird. Das erzeugt einen noch unaufhaltsameren Erzählsog als die bereits faszinierenden vorherigen Romane. Denn der Leser ist auf der einen Seite gefordert, die komplexen Ereignisse selbst zu konstruieren, auf der anderen Seite kann er sich der Unerbittlichkeit der niemals sterbenden Hoffnung kaum entziehen, dem ungebrochenen Überlebenswillen der (oft scheiternden) Protagonisten und das Verschwinden desselben für die Liebe.

Denn die „Dame vom See“ geht skrupellos vor. Die liebgewonnen Protagonisten der vorherigen „Hexer“-Romane segnen hier im Akkord das Zeitliche. Dabei schafft es Sapkowski gleichzeitig heroische Momente zu erzeugen und die Sinnlosigkeit des zigtausenden Todes in seinen Romanen herauszuarbeiten. Der Schrecken des Krieges und der gewalttätigen, oft magischen Auseinandersetzungen wird nicht nur durch die erfrischende Perspektive eines Feldlazaretts deutlich gemacht, auch die Kampfmomente selbst sind durch schlichte Sprache, brutale Aktionen und spürbares Leid ein erschreckendes Beispiel, wie weit die Wesen der „Hexer“-Welt für ihre Überzeugung zu gehen bereits sind und wie schmerzhaft die Konsequenzen ihrer Taten sind.

Die zynische und dennoch an die Hoffnung glaubende Grundeinstellung der Sage wird in dem langen Epilog noch deutlicher. Nachdem tausende Wesen ihr Leben für die Ziele der Königreiche geopfert haben, setzen sich die Herren der Welt an den Verhandlungstisch. Gelenkt werden sie dabei aus dem Hintergrund von den Magierinnen der neu entstandenen Zaubererinnenloge. Diesen Prozess erlebt man aus den Augen einer Reihe von abgehängten Individuen, die in dem Friedensschluss verloren haben. Außerdem wechselt das Schicksal Geralts, Yennefers und Ciris tatsächlich in das Feld der Legenden. Die Hexer-Welt besteht an diesem Ende aus einem globalen Blick mit vielen Königreichen, den vielen faszinierenden, kleinen Ortschaften, die in der Sage besucht wurden und vor allem den zahlreichen Individuen, die für das Schicksal der Welt und für ihr eigenes gearbeitet und gelitten haben. Die vielen starken Bilder werden hier in ein gleichzeitig zynisches, hoffnungsfrohes und nebulöses Ende übertragen, das mit seinem legendenhaften Ton und offenen Ende zu der Sage passt und den Leser überzeugend mit seinen eigenen Gedanken und Eindrücken zurück lässt.

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