All the Light We Cannot See (von Anthony Doerr)

(dt. „Alles Licht, das wir nicht sehen“)

Marie-Laure verliert als Kind in den späten 1930er Jahren ihr Augenlicht. Ihr Vater, ein Museumswächter, tut alles, damit sich das Mädchen weiterhin im Quartier zurechtfindet. Doch angesichts der Besetzung der Wehrmacht flieht die kleine Familie zu Marie Laures Onkel nach Saint-Malo. Im Gepäck hat Marie Laures Vater einen wertvollen Diamenten, den er im Auftrag des Museums vor den Deutschen schützt. Ein Nazi-Kunstexperte, der durch einen tödlichen Tumor gezeichnet ist, versucht fieberhaft, den Stein zu erlangen, da er seinem Besitzer ewiges Leben verspricht. Derweil wächst Werner als Waisenjunge im Ruhrgebiet auf. Aufgrund seiner technischen Begabung erhält er einen Platz auf einer sächsischen Eliteschule der Nazis. Während Marie-Laure mithilfe des Radios ihres Onkels den Widerstand unterstützt, wird Werner rasch zum Experten für die Ortung von Radios ausgebildet – mit dem Auftrag, den Widerstand ausfindig zu machen und zu brechen.

Das Radio ist ein starkes Motiv des Romans. Aus der Perspektive Werners und seiner Schwester erlebt man die faszinierenden Möglichkeiten des Radios. Dank seiner technischen Begabung gelingt es Werner, einen französischen Sender zu erreichen, über den wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt werden. Aufgrund ihrer französischen Heimleiterin verstehen die beiden Waisen den Inhalt. Mit der Machtübernahme der Nazis verändern sich die Möglichkeiten, der Empfangsradius der Radios wird kleiner, das Hören ausländischer Sender wird verboten. Das vielversprechende Medium wird zum grausamen Propagandawerkzeug. Im Krieg bietet das Radio aber auch dem Widerstand die Möglichkeit, leicht über große Entfernungen zu kommunizieren. Insofern zeigt Doerr hier wie eine Erfindung die Welt seiner Protagonisten verändert und auf verschiedene Arten genutzt und missbraucht wird.

Neben dieser technischen Komponenten stehen die beiden Träumer Marie-Laure und Werner. Marie-Laure hat aufgrund ihrer Blindheit einen speziellen Blick auf ihre Umgebung. Sie orientiert sich durch Hören, was das Radio besonders interessant macht. Allerdings gelingt es ihr als einer von Wenigen, sich in ihren exzentrischen und eigenbrötlerischen Onkel einzufühlen. Werner wiederum wünscht sich nichts sehnlicher, als sein Leben der Wissenschaft und der Technik widmen zu dürfen. Er blüht bei der Reparatur verschiedenster Geräte auf. Seine Lebensgeschichte konfrontiert ihn zunächst mit einer Propagandaakademie der Nazis und anschließend mit den Gräueln des zweiten Weltkriegs. Sowohl Marie-Laure und Werner müssen ihre Träume und Wünsche der brutalen Realität anpassen. Der Roman läuft gradlinig und dennoch spannend eine Reihe von Tragödien und Wegmarken ab, die beide Charaktere am Ende in das bereits zerbombte Saint-Malo führt. Hier wird Werner mit seiner Kindheit konfrontiert und entscheidet sich dafür, mit dem Träumen nicht aufzuhören und der Propaganda, die seine Jugend begleitet hat, entgegenzutreten.

Inmitten dieser Zerstörung wird der größte Feind der beiden ein deutscher Offizier, der inmitten all des Mordens in dem Diamanten die Hoffnung auf das ewige Leben mit sich trägt. Das ist angesichts der Brutalität der Umgebung ironisch und angesichts des Fluches, der dem Träger dieses ewigen Lebens ewiges Unglück verspricht, tragisch. Und anders als man es von dem Ton des Romans erwartet, stellt sich für Marie-Laure und Werner kein Happy-End ein. Stattdessen bleibt die Erkenntnis, dass nicht alle Träume an die Realität angepasst werden können, sondern dass die brutalen Zufälle der Realität auch die schönsten Zufälle verhindern können.

An diesem so tristen wie spannenden Punkt hätte der Roman enden können. Stattdessen beendet Doerr „All the Light We Cannot See“ mit einer hektischen Familienzusammenführung. Im Gegensatz zu der großartigen, melancholischen und epischen Stimmung des Romans fällt dieser letzte Teil deutlich ab. Die Gefühle der Protagonisten wirken in den kurzen, lange Zeiträume umfassenden Abschnitt kühl. Der Roman zerfasert dadurch am Ende so stark, dass man sich das stark inszenierte Kriegsende für Marie-Laure und Werner nur mit Mühe in Erinnerung behalten kann.

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