The Story of Kao Yu (von Peter S. Beagle)

Kao Yu ist ein anerkannter Richter in China. Aufgrund der Größe des Landes reist er mit seinen drei Assistenten durch verschiedene Provinzen, um dort schwierige Fälle zu bearbeiten. Er ist weitlands bekannt als äußerst gerechter und scharfsinniger Richter. Eine besondere Ehre wird ihm dadurch zuteil, dass ein chi-lin, ein chinesisches Einhorn, einigen seiner Verhandlungen beisitzt. Diese magischen Wesen können Lügen nicht tolerieren. Beginnt ein Angeklagter im Gerichtssaal zu lügen, wird er vom chi-lin umgehend getötet. Auf diese Art kommt Kao Yu in den schwierigsten Fällen immer zum gerechtesten Ergebnis. Sein Leben wird jedoch aus der Bahn geworfen, als er auf die notorische Diebin Laying trifft. Kayo Yu ist umgehend fasziniert und vermag nicht mehr, neutrale Urteile zu fällen. Während seine Faszination für die junge Frau immer weiter steigt, wird seinen Assistenten immer klarer, dass Laying ihr Handwerk niemals aufgeben wird.

„The Story of Kao Yu“ ist im Stil einer Legende geschrieben. Das sorgt für einen epischen und fesselnden Ton. Ein guter, gerechter Richter, unterstützt von einem grausamen aber wahrheitssprechenden Einhorn kommt hier vom „tugendhaften“ Pfad ab. Kao Yu hat sein Leben der Justiz vermacht und ist immer alleinstehend geblieben. Nichts hat ihn so fasziniert wie die Rechtssprechung – bis Laying auf den Plan tritt. Auch hier geht Kao Yu geradezu rational vor. Zunächst versucht er seine Sehnsucht zu unterdrücken. Als dies nicht mehr möglich ist, versucht er Laying eine Chance zu geben. Als er dabei bestohlen wird, versinkt er in Selbstvorwürfe und kämpft wieder kategorisch gegen sein Verlangen an. Dennoch trifft er Laying im Gerichtssaal wieder, als sie vehement einen Mord bestreitet. Kao Yu weiß, dass die Angeklagte lügt und versucht energisch, das chi-lin daran zu hindern, Laying zu töten. Auf diese Weise bringt der ehrwürdige Richter sich selbst um die große Ehre, ein anwesendes chi-lin bei seinen schwierigsten Anhörungen aufweisen zu können.

Dieser Teil ist bereits spannend genug. Beagle würzt das Ganze mit der Frage, wie viel der Vorwürfe von der chinesischen Gesellschaft, von den chi-lin und von Kao Yu selbst kommen. Denn Kao Yu legt enorm hohe Maßstäbe an sich selbst. Die Tatsache, dass ein chi-lin bei seiner Beerdigung auftaucht regt zum Nachdenken an, ob Kao Yu sich in erster Linie selbst verurteilt. Dennoch während seine Assistenten großes Verständnis für die Zerrissenheit des alten Mannes haben, gelingt es Kao Yu nicht, Verständnis für sich selbst zu entwickeln. Er hat stattdessen das Gefühl, dass er mit seinem emotionalen Verhalten, seine eigene Existenzberechtigung verspielt hat. So zieht er sich denn in die Rente zurück und konzentriert sich auf gelehrte Rechtskommentare.

Für den Leser bleiben nach dieser nüchtern geschriebenen und in der Zerissenheit Kao Yus dennoch fesselnden Kurzgeschichte das Nachdenken zwei starke Eindrücke zurück. Das eine ist die plötzlich auftauchende, starke und unerwartete Gefühlsregung, die den Alltag aus der Bahn werfen kann. Die andere die Unsicherheit und starken Selbstzweifel beim Folgen dieser Gefühlsregung. Kao Yus „Story“ ist daher vielleicht neben der dramatischen Legende auch eine Parabel darüber, dass man beim Folgen der eigenen Sehnsüchte, selbst wenn diese enttäuscht werden, sich lieber nicht in eigenen Vorwürfen verliert.

Die Kurzgeschichte „The Story of Kao Yu“ von Peter S. Beagle ist 2016 auf tor.com erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2017“, herausgegeben von Charles Yu und John Joseph Adam.

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