Openness (von Alexander Weinstein)

In der Zukunft ist das Internet sichtbar für jeden. Man lernt Menschen zunächst mit ihrem Nutzernamen kennen und kann leicht Fotos, Erinnerungen und Texte austauschen, die anschließend vor den Augen der Gesprächspartner sichtbar werden. Auf diese Art lernt der Ich-Erzähler Andy Katie kennen. Rasch verlieben sich die beiden. Wirklich nah kommen sie sich jedoch bei einem Besuch bei Katies Vater in Maine. Dort gibt es keine Verbindung, alles findet wieder analog statt. Im Anschluss an die Reise entschließt sich das Paar, komplette Offenheit zu wählen. Dadurch erhalten beide Zugang zu allen Fotos und Dateien im jeweiligen Account und auch auf die Vorstellungen und Wünsche, die in Form von Bildern auf dem Account gespeichert werden. Alles läuft gut bis sich langsam Bilder mit Zukunftswünschen einstellen, die nicht unbedingt auf eine gemeinsame Zukunft hindeuten.

„Openness“ ist eine gleichzeitig berührende und beunruhigende Liebesgeschichte. Weinstein gelingt es auf wenigen Seiten, die Verbindung zwischen Katie und Andy überzeugend zu skizzieren. Sie haben ausreichend Anhaltspunkte und gemeinsame Interessen, um als Paar erfolgreich zu sein. Der gemeinsame Ausflug nach Maine ist ausgesprochen eindringlich und die Emotionen springen rasch auf den Leser über.

Von Beginn an staunt man über die Weiterentwicklung des Internets in dieser Kurzgeschichte. Die absolute Transparenz, die Katie und der Erzähler wagen erscheint zunächst wie ein großer Vertrauensbeweis. Am Ende ist er der Sargnagel für die Beziehung. Dadurch stellt sich automatisch die Frage nach der Rolle der Technologie beim Scheitern der Beziehung. Auf der einen Seite hat es erst Technologie möglich gemacht, dass die Beziehung so schnell zustande kam (Andy spricht Katie auf ihre im Account verzeichnete Herkunft aus Maine an). Auf der anderen Seite fühlt man sich von Beginn an äußerst unwohl über das permanente Teilen persönlicher Informationen.

Letztlich dürfte es in jeder Beziehung üblich sein, auch einmal zu zweifeln. Am Ende der Beziehung gibt Katie immer noch vor, von ihrer Liebe zum Erzähler überzeugt zu sein. Allerdings sprechen ihre in Bildern festgehaltene Vorstellungen eine andere Sprache. Um diese zu begrenzen, reaktiviert das Paar Privatsphäreeinstellungen, was als Beziehungsende interpretiert wird. Die Offenheit verdeutlicht hier vermutlich nur Zweifel, die jedem begegnen können und doch führt sie damit zum Ende. Man könnte also sagen, die Offenheit hat die Fehler der Beziehung einfach nur früher als gewöhnlich aufgezeigt. Andererseits hat es auch verhindert, dass man an den gemeinsamen Problemen auf sanftere Art arbeitet. Es ist angesichts der Übermacht des Digitalen wenig überraschend, dass Andys intensivste Erinnerungen an die Beziehung der gemeinsame Besuch in Maine ist. Egal wie viele Aspekte unseres Leben wir digitalisieren, teilen und verbreiten, die Erfahrungen, ob bewegend wie ein Besuch in Maine oder verstörend wie das Ende der Beziehung, passieren in der realen Welt. Weinstein zeigt eindringlich, dass Beziehungen hier und nicht in der Offenheit des Internets funktionieren müssen, um zu überleben. Dieses Bild des Scheiterns durch virtuelle Hilfe begleitet den Leser noch einige Zeit nach Abschluss der Kurzgeschichte.

Die Kurzgeschichte „Openness“ von Alexander Weinstein ist 2016 in der Anthologie „Children of the New World“ des Autors erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2017“, herausgegeben von Charles Yu und John Joseph Adam.

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