Not by Wadrobe, Tornado, or Looking Glass (von Jeremiah Tolbert)

Louisa lebt in einer Welt, in der sich die Menschheit langsam zurückzieht. Überraschend sind für die meisten Bewohner der Erde „Rabbit Holes“ aufgetaucht. Dies sind personalisierte Höhlen, die sich nach einer Weile verschließen und die ihrem Bewohner eine perfekte Welt vorspielen. Kurzum sie sind der Ort vollkommenen Glücks für ihre Bewohner. Louisa erhält jedoch keines dieser Löcher. Während sich die Menschen zurückziehen, übernehmen andere, ebenfalls überraschend aufgetauchte intelligente Lebewesen die Erde. Louisa fühlt sich zunehmend fremd und verzweifelt an der Frage, warum sie kein Hasenloch erhalten hat.

Zunächst erscheint „Not by Wardrobe, Tornado, or Looking Glass“ wie eine mysteriöse Invasionsgeschichte. Eine unbekannte Macht stellt den Menschen alternative Lebensorte zur Verfügung und übernimmt selbst die Erde. Das erzeugt ein äußerst unangenehmes Gefühl. Der Leser erfährt dies zunächst aus der Sicht Louisas. Für sie ist auf der Erde immer weniger ein Platz. Sie hat kaum Qualifikationen, hat ihr Studium der Pflege ihrer kranken Mutter „geopfert“. Und angesichts der zurückgehenden Bewohnerzahlen gibt es auch immer weniger Jobs. Wo soll sie das Geld für ihre Miete erhalten? Zumal die neuen Bewohner des Planeten längst immer absurdere Zahlungsmittel einführen. Im Verlauf der Geschichte gesellen sich zu dieser Ausgrenzungserfahrung jedoch noch andere unangenehme Gedanken. Was passiert eigentlich, wenn sich die Rabbit Holes schließen? Kann es sein, dass die Menschheit, der Zivilisation überdrüssig, hier unbewusst (oder bewusst?) einen kollektiven Selbstmord gewählt hat?

Tolbert greift diese Gedanken nicht auf. Auch geht er nicht der Frage nach, wie mit dem Gefühl der Fremdheit in einer sich (radikal) wandelnden Gesellschaft umgegangen werden kann. Stattdessen stellt er Louisas Frage, warum sie kein Rabbit Hole erhalten hat, in den Mittelpunkt. Seine Antwort: Die belesene, mit Fantasy Literatur vertraute Louisa könnte einfach keinen Ort haben, an dem sie komplett glücklich ist. Denn wer seine Fantasie trainiert, für den gibt es nicht nur einen einzigen Ort, an dem man komplett glücklich sein kann. Wer erst einmal die verschiedensten Welten mit der eigenen Gedankenkraft bereist hat, der ist auch nur damit zufrieden, weiterhin viele Orte besuchen zu können.

Dies ist eine nette Hommage an die Kraft der Literatur. Wer liest, braucht keine vermeintlich bessere Welt, in die er sich flüchten kann. Stattdessen gibt die Literatur die Kraft sowohl die Fantasie zu schulen als auch in der real existierenden Welt die Möglichkeiten, Abenteuer und Emotionen zu erkennen. Das ist eine starke Aussage, die jedoch in schwacher Verpackung daher kommt. Während Louisas Ausgrenzungserfahrungen packend, beklemmen und authentisch wirken, erscheint die letztliche Auflösung der Kurzgeschichte überhastet. Louisa wird von einem geradezu plötzlich auftauchenden Mann, der sein Rabbit Hole wieder verlassen hat, auf die Antwort zu ihrer Frage hingewiesen. Es ist unklar, warum unter diesen Bedingungen nicht viel mehr Menschen ihre Höhlen wieder verlassen haben oder aber nie eins erhalten haben. Auch ist der plötzlich auftauchende „Prinz“, der alles auflöst, etwas zu konstruiert und nimmt Louisas Charakter die Chance, ihre Situation selbst aufzulösen. Alles in allem ist der Gedanke hinter der Kurzgeschichte gefällig, das Setting packend, der eigentliche Erzählkern jedoch sehr schwach.

Die Kurzgeschichte „Not by Wardrobe, Tornado, or Looking Glass“ von Jeremiah Tolbert ist 2016 im „Lightspeed„-Magazine erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2017“, herausgegeben von Charles Yu und John Joseph Adam.

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