En finir avec Eddy Bellegueule (von Édouard Louis)

(dt. „Das Ende von Eddy“)

Eddy Bellegueule wächst in den 90er-Jahren in ärmlichen Verhältnissen in der Picardie auf. Sein Vater ist Fabrikarbeiter, verliert aber nach einem Rückenproblem seinen Job. Seine Mutter arbeitet gelegentlich, wird jedoch von ihrem Mann in ihren Ambitionen gestoppt sobald sie mehr verdient als er. Die Familie mit sieben Kindern überlebt zu großen Teilen von Sozialhilfe. Geld ist nie genug da, Schuld sind die Reichen aber auch Ausländer und alle, die nicht dem Männlichkeitsideal der Dorfgemeinschaft entsprechen. Eddy wird ab der Geburt als etwas unnatürliches betrachtet: Er macht bei dem Wettkampf, wer der „härteste“ Mann ist, kaum mit, spielt kein Fußball und verhält sich irgendwie feminin. Der Roman zeichnet nach, wie Eddy sein ‚Anderssein‘ realisiert, sich erst dagegen stemmt und dann erkennt, dass er seine Homosexualität allenfalls ausleben kann, wenn er der engstirnigen und ärmlichen Welt seines Dorfes entflieht.

„En finir avec Eddy Bellegueule“ ist ein autobiographischer Roman. Tatsächlich wählt Édouard Louis seinen Namen selbst und legte seinen ‚alten‘ Namen während des Studiums ab. An seine Kindheit habe er keine einzige glückliche Erinnerung. Tatsächlich ist seine Jugend auf dem Dorf brutal. Bereits als Kind erlebt er, dass er nicht in die kleine Welt, in die er geboren wurde, passt. Seit er denken kann, erlebt er abschätzige Sprüche seines Vaters, muss um Anerkennung kämpfen. Physisch hat er Glück: Angesichts der Gewalttätigkeit seines Großvaters, ist Eddys Vater darum bemüht, nie gewalttätig gegenüber seiner Familie zu werden. Das ist eine Seltenheit im Milieu. Die familiäre Gewalt äußert sich daher in der Sprache: Ohne sich dessen klar zu werden, wird Eddy durch die homophobie seiner Umwelt, die ihn in der Regel als pädo aufzieht, zermürbt. In der Schule erfährt Eddy zudem regelmäßige Gewalt durch seine Mitschüler.

Louis macht in dem Roman zudem deutlich, dass alle Bewohner des Dorfes in irgendeiner Form unter der Gewalt untereinander oder aber durch die Ausgrenzung ihrer Klasse leiden. Solidarität ist in dieser von immer stärker werdenden Arbeitslosigkeit geprägten Gruppe ein Fremdwort. Ist man arm, stürzt man sich hämisch auf noch etwas ärmere Nachbarn. Alles was anders, unnatürlicher ist als man selbst, wird zur Selbstvergewisserung benutzt. Dabei bleibt keinerlei Raum für Träume. Wenn junge Menschen den Wunsch äußern, mehr aus sich zu machen, werden sie entweder von ihrem persönlichen Umfeld (‚man hält sich wohl für was besseres?‘) oder aber durch die Institutionen (z.B. bei der Berufsberatung) auf ‚realistischere‘ Ziele eingeschworen. In dieser Landschaft ohne Perspektive und ohne wirkliche Zukunft, in der Alkoholismus und Gewalt die Normalität sind, bleibt als einzige Quelle des Stolz die eigene Normalität – und die damit einhergehende Ausgrenzung alles anderen.

„En finir avec Eddy Bellegueule“ lebt neben der eindringlichen Beschreibung Eddys Kindheit von zwei Stärken des Romans. Erstens gelingt es Louis immer wieder Momente herauszuarbeiten, in denen zwar jeder Beteiligte das Beste für andere im Sinn hat, die Strukturen und die eigene Sprache aber verhindern, dies auszudrücken. So gibt es durchaus zärtliche Szenen innerhalb der Familie, jedoch haben alle Schwierigkeiten, diese Gedanken zu artikulieren und zu zeigen. Außerdem kann alle Liebe füreinander nicht darüber hinwegtäuschen, dass jedes abweichende Verhalten und vor allem Eddys nicht ausgesprochene Homosexualität schlicht nicht akzeptiert werden kann. Zweitens erhöht sich die Intensität des Romans noch weiter sobald Louis auf seine eigene Jugend zu sprechen kommt. Hier kann er dem regelmäßigen Mobbing entgehen, indem er sich dazu zwingt, sich seinem Umfeld anzupassen. Bei der Verleugnung der eigenen Identität, der eigenen Ausdrucksweise verletzt er sowohl sich selbst als auch andere (z.B. seine zweite Scheinfreundin). Alles arbeitet auf den Moment zu, indem er erkennt, dass nur die Flucht aus seiner Heimat, ihm ein möglicherweise zufriedenstellendes Leben ermöglicht. Diese Flucht geht einher mit dem Wandel in eine andere Klasse, die andere Umgangsformen und Codes verlangt. Die damit einhergehende Unverständnis und weitere Verletzungen werden nicht mehr angesprochen, sondern in einem Epilog nur angerissen. Dennoch ist diese Thematisierung der Auswirkungen der Klassenzugehörigkeit nicht nur auf den eigenen Wohlstand, sondern auch auf die Möglichkeiten, akzeptiert zu werden, sehr gelungen. Die sozialen Auswirkungen der Armut und der materiellen wie strukturellen Diskriminierung schildert Louis am Beispiel seiner eigenen Kindheit minutiös und erschütternd.

Édouard Louis beschreibt in „En finir avec Eddy Bellegueule“ seine Kindheit, die ihn zum Bruch mit seiner Herkunft gezwungen hat. Es gelingt ihm die Armut und Resignation seiner Eltern, die brutale sprachliche und tätliche Gewalt seines Umfelds, die zerplatzten Träume, ja die Unmöglichkeit zu träumen und die verschiedenen, geradezu hilflosen Versuche, Liebe auszudrücken, eindrücklich einzufangen. Die Beschreibung ist nicht hasserfüllt, sondern versucht zu verstehen, wie gesellschaftliche Ausgrenzung zu Hilflosigkeit und im Umkehrschluss zu aktiver Ausgrenzung noch schlechter gestellter Gruppen führt. Gerade dieser Versuch, zu verstehen, macht die abschließende, unumgänglich erscheinende Entscheidung, mit allem zu brechen, noch erschütternder.

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