Auf die Fresse (ARD-Radiotatort)
|Auf einer Autobahnraststätte treffen Berliner auf Kölner Zweitligaultras. Auf einer Toilette wird einer der Ultras so brutal zusammengeschlagen, dass er mit einem Helikopter ins Krankenhaus geflogen werden muss. Die Kommissarinnen Griem und de Beer ermitteln auf der Raststätte. Während das vermeintliche Täterteam bereits abgefahren ist, steht der Bus des Teams des verletzten Ultras noch auf der Raststätte. Die beiden Ermittlerinnen treffen jedoch auf eine Mauer des Schweigens: Trotz der Fanfeindschaft hält man lieber dicht als mit einem Polizisten zu sprechen, schließlich ist auf beiden Seiten jeder wegen Körperverletzung vorbestraft. Die Polizistinnen setzen ihre Hoffnung daher auf Marcel Lüderitz, der bereits einmal ausgesagt hat. Doch obwohl sie von ihm schnell ein selbstbelastendes Geständnis erhalten, ist sich Kommissarin Griem nicht sicher, ob Lüderitz sich nicht nur von seiner vorherigen Aussage-„Schuld“ reinwaschen möchte.
Die Hektik des Falls wirkt etwas unglaubwürdig. Zunächst wollen die Ermittlerinnen den Fall lösen, bevor der Bus des anderen Teams die Raststätte auf dem Rückweg passiert. Davon wird aber rasch wieder abgesehen, alles versteift sich auf Lüderitz. Verstärkt wird dies dadurch, dass die seit der vergangenen Folge alleinerziehende de Beer sich um ihre Tochter kümmern muss und daher unter Zeitdruck steht. Dieses Motiv ist aber für den Rest der Episode unerheblich und wird nicht richtig ausgearbeitet. Es ist einfach nur ein nervendes Element. Denn dadurch kommen sich de Beer und Griem wieder einmal in die Haare. Das hat man im LKA Magdeburg nun schon zur Genüge erlebt. Die Annäherung der vergangenen Folgen ist zwar spürbar, dennoch kommt es weiterhin zu Konflikten, die der Handlung nicht gut tun und letztlich mehr nerven als unterhalten. Denn durch den Stress im Hintergrund wirken weder Griem mit ihrer bedachten und mit den Ultras sympathisierenden Art, noch de Beer mit ihren Vorverurteilungen wirklich überzeugend.
Dennoch gelingt es „Auf die Fresse“ trotz dieser Ausgangslage ein überraschend unterhaltsames und teilweise sogar spannendes Kammerspiel zu inszenieren. Marcel Lüderitz brennt darauf, sich selbst zu belasten. Das wirkt auf Griem unglaubwürdig, sie vermutet er möchte sich von dem ‚Makel‘ seiner vorherigen Aussage reinwaschen. Als das Opfer verstirbt, aus Körperverletzung Mord wird und sich das Opfer zudem als Sohn des Beamten herausstellt, der Lüderitz einst zur Aussage gezwungen hat, wird der Fall immer verworrener. Der Zuhörer schwankt zwischen den beiden extremen Polen de Beers und Griems. Denn während die erstere zu hart und vorverurteilend wirkt, erscheint Griem etwas naiv. Abgesehen von den unnötig schrillen Reibereien zwischen den beiden, schafft der Tatort es, mit diesen Polen Spannung aufzubauen. Am Ende versteht man etwas von dem Ultra-Mikrokosmos und vor allem aber mehr über die Hilflosigkeit, die die Polizistinnen angesichts der verweigerten Kooperation empfinden.
Dass „Auf die Fresse“ ein guter Radiotatort ist, liegt in erster Linie daran, dass er sich für das zentrale Gespräch zwischen Griem und Lüderitz sehr viel Zeit nimmt. Dieses ruhige Verhör ohne die dauergestresste de Beer inklusive anschließender Aufklärungsarbeit überzeugt in seiner Tiefe und Verworrenheit und macht den Ausflug in die Welt der Ultras spannend und bewegend.