Therapie für die 48% statt Aufklärung für die 52%? – The New European

Logo des UK-Magazins "The New European"2016 schockierte das Vereinigte Königreich die Bevölkerung der Europäischen Union mit einer knappen Mehrheit für den Brexit. Zwei Jahre später bereitet sich das Königreich unter einer immer chaotischer agierenden Regierung tatsächlich auf den Austritt aus der EU vor. Bereits wenige Tage nach dem Referendum lag ein neues Medium an Großbritanniens Kiosken: „The New European“. Die neue Wochenzeitung hält sich nach beinahe zwei Jahren noch immer am (umkämpften) Markt. Mich fasziniert das: Könnte es sein, dass das (negative) Brexit-Referendum ein tatsächlich europäisches journalistisches Medium geschaffen hat? So etwas wurde häufig versucht, ist aber noch in keinem europäischen Land gelungen.

Was würde denn ein tatsächliches EU-Medium auszeichnen? Es könnte zwei Wege beschreiten. Erstens würde es im Detail über Vorgänge auf der europäischen Ebene berichten. Solche Zeitungen gibt es bereits. Ein Beispiel dafür ist die europäische Ausgabe von Politico, die über Prozesse auf der EU-Ebene berichtet. Doch „Politico“ ist ein Fachmagazin, dass es an wenigen öffentlichen Kiosken zu kaufen gibt. Außerdem richtet es sich eher an Experten denn an die Massenleserschaft. Eine zweite Möglichkeit wäre es, im Stile der Deutschlandfunk-Sendung „Europa Heute“ über Vorgänge in anderen europäischen Mitgliedsstaaten zu berichten. Beide Ansätze würden (bei breiter Leseschaft) die Stimmung gegen die EU reduzieren. Denn die schamlosen Lügen der Brexit-Kampagne könnten nicht verfangen, wenn die Bevölkerung mehr Informationen z.B. über EU-Gesetzgebung oder andere Mitgliedsstaaten hätten. Denn dann müssten die Brexiter bessere Argument finden als auf angeblich übergriffige andere Mitgliedsstaaten oder EU-Institutionen zu verweisen.

In den vergangenen zwei Wochen war ich im Vereinigten Königreich und hatte daher erstmalig die Chance, mir Ausgaben des „New Europeans“ zu besorgen. Überraschenderweise bietet die Zeitung keine der beiden Optionen. Stattdessen unterscheidet sie sich wenig von der lauten, hysterischen und teilweise erschreckend oberflächlichen britischen Presselandschaft. Hier wird in erster Linie um all die UK-Vorgänge rund um die Brexit-Vorbereitungen berichtet. Minutiös werden alle (bekannten) Pläne der britischen Regierung zum Brexit analysiert. Dazu gibt es aggressive Attacken gegenüber allen anderen Befürwortern eines harten, sanften oder sonst wie geratenen Brexit und sanftere Mut-mach-Artikel, wie man doch noch gegen den Brexit vorgehen könnte. Abgerundet wird der Mix durch einige kulturelle Artikel und längere Reportagen über Vorgänge in aller Welt.

Überraschend ist dabei, dass die EU-Ebene bzw. andere Mitgliedsstaaten kaum vorkommen. Natürlich sind die zwei Ausgaben nur eine äußerst kleine Stichprobe. Doch hier kommt die EU selbst nur einmal vor, in einem längeren Artikel über den Stand der Ausstiegsverhandlungen. In allen anderen Texten ist sie nur indirekt präsent. Europäische Mitgliedsstaaten sind abgesehen von einem Bericht über Radfahren auf Mallorca, dem etymologischen Hintergrund europäischer Fußballnamen sowie einem historischen Text über das Leben deutscher Dichter im Exil während des zweiten Weltkriegs gar nicht vor.

Stattdessen findet man in den Heften jedoch Texte über Putins Russland, Trumps Sicherheitspolitik, die politische Strategie der Demokraten und den Auswirkungen sozialer Medien (und Alexa) auf unser Privatleben. Interessanterweise gibt es außerdem Reportagen aus Bosnien und Venezuela (beide nicht in der EU). All diese Artikel sind nicht schlecht und für britische Verhältnisse überraschend sachlich. Aber sie haben halt wenig mit der EU zu tun.

„The New European“ so scheint es, ist also vor allem eine Beruhigung für die 48%, die gegen den Brexit gestimmt haben. Hier wird niemand umgestimmt, kein Leser wird ein anderes Bild von der EU oder ihren Mitgliedern erhalten als er/sie vorher hatte. Stattdessen bietet „The New European“ Selbstversicherung in stürmischen Zeiten. Die Lektüre ermöglicht es, auf dem aktuellen Stand der Brexit-Verhandlungen zu sein (mit einem sehr kritischen Blick auf die britische Position). Vor allem aber kommuniziert die Zeitung dem Leser, der einen Verbleib in der EU bevorzugt hätte, dass er nicht alleine ist. Es ist noch nicht vorbei ist neben das Schlimmste kann noch verhindert werden eine Kernbotschaft des Mediums. Insofern ist es für all diejenigen Bewohner des Königreichs, die sich noch (parlamentarischen und gesellschaftlichen) Widerstand gegen den Brexit wünschen, zwar kein europäisches, dafür aber ein Mutmach-Medium.

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