Cryoburn (von Lois McMaster Bujold)

Miles ist einmal mehr auf diplomatischer Mission. Diesmal soll er im Auftrag des Imperators die dunklen Geheimnisse hinter der Gesellschaft auf Kibou-daini herausfinden. Die Gesellschaft ist auf dem Papier eine Demokratie. Allerdings gibt es seit langer Zeit den Trend, dass alte und kranke Menschen sich einfrieren lassen, in der Hoffnung aufgeweckt zu werden, sobald der Tod überwunden bzw. neue Behandlungsmethoden entdeckt wurden. Der Clou dahinter ist, dass die Unternehmen, die diesen Service anbieten, für die Dauer des „Kälteauftenthalts“ das Wahlrecht ihres „Klienten“ übernehmen. Durch Marktverdrängung beherrschen mittlerweile drei Einfrierunternehmen mit ihren Stimmen die komplette Gesellschaft. Eines von ihnen möchte nun auf einen Planeten des barrayanischen Imperiums expandieren. Miles braucht nicht lange, um herauszufinden, dass etwas dahinter nicht stimmen kann: Nur wenige Stunden nach seiner Ankunft auf dem Planeten kommt es bereits zu einem Anschlag auf ihn und sein Team.

„Cryoburn“ beginnt im Ungewissen. Der Leser erlebt Miles wie er unter Drogeneinfluss durch einen unbekannten Ortsteil streift und zunächst für einen Drogenabhängigen gehalten wird. Über die besonderen Verhältnisse auf Kibou, über Miles Mission sowie über den gerade stattgefundenen Entführungsversuch weiß man noch nichts. Dieser Einstieg ist spannend gehalten. Allerdings setzt er ein vergleichsweise langsames Tempo: Miles muss zunächst zu Sinnen kommen und der Leser erfährt über Kibou hauptsächlich aus den Augen des Jungen Jin. Das ist gemächlich, aber durch die warm gezeichneten Charaktere ein angenehmer Einstieg in die kalte Welt der professionellen Cryo-Unternehmen.

Auf diesem warmen Einstieg baut Bujold langsam aber stetig ihre eindringliche Dystopie auf. In der Hoffnung, den Tod zu besiegen, haben die Menschen auf Kibou eine Gesellschaft erschaffen, in denen Unternehmen die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Der einzelne hat in diese Gesellschaft allenfalls die Möglichkeit, das Unternehmen zu wählen, das irgendwann seine Stimme übernehmen wird. Die daraus entstehende Hoffnungslosigkeit, der Schatten den die Noch-Nicht-Toten auf die Lebenden werfen, ist enorm. Insofern ist die Bedrohung in diesem Roman geradezu greifbar: Der Verdacht liegt nahe, dass die Unternehmen mit legalen Kniffs, Barrayar in eine ähnliche Schattengesellschaft verändern wollen.

Mit diesem überzeugenden Szenario gelingt es dem Roman jedoch nicht eine überraschende Geschichte zu erzählen. Der Schlüssel für Miles Ermittlungen wird eine Widerstandsgruppe, die von Jins mittlerweile eingefrorener Mutter geleitet wurde. Es stellt sich heraus, dass die Unternehmen trotz ihrer großen Macht zu unsaubren Methoden gegriffen haben, um frühere Fehler zu vertuschen. Das wird ihnen hier – erwartungsgemäß – zum Verhängnis. Der Roman erzählt dies in immer schneller werdendem Tempo. Doch die Wendungen der Handlung sind weitestgehend vorhersehbar und der Wandel der Kibou-Verhältnisse ist am Ende zwar unterhaltsam und subtil, aber nicht so überzeugend wie das Ende der meisten anderen Barrayar-Romane.

Getragen wird „Cryoburn“ stattdessen von seinen Charakteren. Miles wirbelt einmal mehr hyperaktiv und immer am Rande des Abgrunds durch die Erzählung. Das ist unterhaltsam anzugucken, auch wenn Miles Geniestreiche diesmal – wie die Haupthandlung – hinter früheren zurückbleiben. Auch geht er diesmal keine wirklichen Entwicklungsschrite durch. Lediglich ein Trauerfall zum Ende des Romans fordert ihn wirklich heraus. Das ist jedoch eher im Stil eines Epilogs gehalten und hat mit der eigentlichen Handlung nur entfernt etwas zu tun. Der eigentliche Star des Romans ist Jin. Er ist nach dem erzwugenen Einfrieren seiner Mutter bei Verwandten untergebracht und bricht immer wieder aus. Er und seine Schwester sind der Spiegel der Hoffnung in einer resignierten Gesellschaft. In Verbindung mit einem barrayarischen Büroleiter, der von Miles in die Verzweiflung getrieben wird, an den Kindern jedoch einen Narren frisst, erlebt der Leser Miles aus einem bisher noch sehr ungewöhnlichen Blickwinkel. Das täuscht erfolgreich über die relativ lineare Kriminalhandlung hinweg.

Insgesamt ist „Cryoburn“ dadurch ein unterhaltsamer, von seinen neu eingeführten Charakteren getragen. Während der hier ausgezeichnete dystopische Gesellschaftsentwurf gelingt, ist die Handlung streckenweise etwas zu gradlinig.

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