A closed and common Orbit (von Becky Chambers)

dt. „Zwischen zwei Sternen“ (Fischer/Tor)

„A closed and common orbit“ schließt nahtlos an die Ereignisse aus „The long way to a small angry planet“ an, ohne dass die Lektüre des ersten Teils für das Verständnis der Handlung notwendig ist. Am Ende des genannten Buches gelang es der Besatzung der Wayfarer, die künstliche Intelligenz des Schiffes, Lovelace, in einen Körper zu transferieren. Dies ist zwar unter interstellarem Recht illegal, doch die Besatzung sah die KI mittlerweile als Person an und wollte ihr diesen Wunsch erfüllen. Aufgrund eines Angriffs ging die Übertragung jedoch schief. Unter ihrem neuen Namen Sidra muss Lovelace nun auf einem ihr unbekannten Planeten ihren Platz im Universum finden. Dabei steht ihr Pepper zur Seite. Pepper entkam als Kind einer Klonfabrik und wurde von einer KI erzogen. Nun versucht sie alles, um Sidra ein gutes Leben in einer Gesellschaft zu ermöglichen, die autonome KIs für illegal erklärt. Doch Sidra fühlt sich angesichts all der Einschränkungen, die sie durch Wahrheitsprotokolle, limitierte Datenspeicher und ähnlichem unterliegt, alles andere als wohl in ihrer neuen Rolle.

Der überraschendste Aspekt dieses Romans ist, dass Chambers den naheliegendsten Handlungsweg ausschlägt. Sidras Existenz ist illegal. Sobald die Autoritäten über sie herausfinden, müssten sie sie deaktivieren und sogar zerstören. Daher erwartet man, dass die Handlung irgendwann in diese Richtung zugespitzt wird. Natürlich besteht diese Bedrohung ständig und schränkt Sidra in ihren Möglichkeiten ein. Chambers vermeidet jedoch, den Roman zu einer Art Überlebensthriller für Sidra zu machen. Stattdessen fokussiert sie sich gänzlich auf das viel interessantere aber auch schwieriger zu dramatisierende Motiv der „Personwerdung“ Sidras.

Und das gelingt hier ausgesprochen gut. Sidra unterliegt vielen Einschränkungen und kann sich ihre drängendsten Wünsche nicht erfüllen. Auf der Wayfarer war sie dafür zuständig, alle Bewegungsabläufe an Bord zu kontrollieren und zu beobachten. Als einzelne Person ist ihr dies nun nicht mehr möglich. Außerdem unterliegt sie Datenspeicherbeschränkungen. Sie möchte dies gerne mit Implantaten aufheben. Pepper sperrt sich dagegen, das Risiko, dass Sidra dadurch auffliegt, sei zu groß. Dieser Kernkonflikt steht exemplarisch für einen überzeugenden Ansatz Chambers, Sidras Personwerdung darzustellen. Sidra übernimmt die Praktiken, die ihr ihre biologischen Freunde vorschlagen nicht. Stattdessen hält sie bis zum Ende stur daran fest, ihre Wünsche in Realität umzusetzen. Das ist niemals leicht. Doch im Laufe des Romans findet sie immer kreativere Wege, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es sich wünscht. Der Leser merkt dabei, wie sie die Sehnsucht nach ihrer alten Sicherheit langsam gegen Wertschätzung für ihre neu gewonnene Autonomie austauscht. Auch wenn das Gesetz sie als Person nicht anerkennt, gelingt es ihr, ihre eigene Nische zu finden. Dieser Prozess ist mitreißend, spannend und sehr gut konstruiert.

Abgerundet wird dieser Handlungsstrang mit einer Reihe unterhaltsamer technische Aspekte hinter Sidra. Durch eingestreute Forenunterhaltungen bzw. Anleitungsausschnitte erfährt der Leser mehr über den Körper Sidras. In der eigentlichen Handlungen gelangt Sidra immer wieder in ungeahnte und lustige Situationen – wie z.B. der Algorithmus, der Sidra bei jeder Nahrungsaufnahme ein zufälliges, emotionales Bild anzeigt. Dadurch soll sie ihre Fassade gegenüber biologischen Wesen besser aufrechterhalten. Aber natürlich sorgt dies immer wieder für absurde Kontraste und Dialoge.

Auf einer zweiten Handlungsebene erfährt der Leser mehr über Peppers Hintergrund. Sie wurde einst als Arbeitsklon geschaffen. Nur durch einen Zufall gelang es ihr, ihrer Fabrik zu entfliehen. Durch Zufall stieß sie auf ein verlassenes Schiff und dessen KI. Von ihrem zehnten bis zu ihrem neunzehnten Lebensjahr war die KI ihre eigene Bezugsperson, die ihr half den Lebenssinn nicht zu verlieren, in einer feindlichen Umgebung zu überleben und am Ende das Schiff so zu reparieren, dass sie dem Planeten entfliehen konnte. Dieser Handlungsstrang, dessen Ende vorprogrammiert ist, gelingt Chambers genau so gut wie die Handlung um Sidra. Peppers Jugend ist entbehrungsreich und dennoch faszinierend. Wie kann ein Kind durch eine KI erzogen werden? Welche Werte erlernt sie dabei? Chambers spielt diesen Gedanken einfühlsam durch.

In „A close and common orbit“ kämpfen sich ein Klon und eine KI unter widrigsten Umständen ins Leben. Wie im Vorgänger strahlt die Erzählung einen freiheitsliebenden, humanistischen und teilweise geradezu anarchischen Grundton aus. Jedes Wesen hat das Recht glücklich zu werden, vor allem aber kann es dies im Verbund mit Freunden auch gegen die widrigsten (gesellschaftlichen) Bedingungen erreichen. Chambers zeichnet zwei Freiheitsfindungsprozesse nach und schafft damit einen sehr gelungenen und unterhaltsamen Mix aus einfühlsamen, nachdenklichen und spannenden Elementen.

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