Die Zeit der Verachtung (von Andrzej Sapkowski)

Das Königreich Nilfgaard ist in seinem Expansiondrang kaum aufzuhalten. Die kleinen Königreiche des Nordens versuchen dennoch, eine Allianz gegen den Feind aus dem Süden zu bilden. Allerdings sind sie bereits so damit beschäftigt, die von Nilfgaard angestachelten Nicht-Menschen zu kontrollieren, dass kaum Kapazitäten für die Verteidigung übrig bleiben. In dieser unruhigen Zeit versucht der Hexer Geralt herauszufinden, wer Attentäter auf seine Ziehtochter Ciri gehetzt hat. Bei seinen Nachforschungen trifft er wieder mit Ciri und der Zauberin Yennefer zusammen. Diese Wiedervereinigung geschieht just vor einem großen Zaubererkongress. Doch was eigentlich den Widerstand gegen Nilfgaard einen soll, wird rasch zur Katastrophe für die Königreiche des Norden.

Der zweite Teil der Hexer-Pentalogie (und das insgesamt vierte Hexer-Buch) überzeugt genau wie der Vorgänger mit seinem grandiosen Erzählstil. Der Roman ist um die Schlüsselszene auf der Zaubererzusammenkunft aufgebaut. Viele Ereignisse erleben die Helden dabei nicht direkt, sie werden in Balladen und (Wirtshaus)Erzählungen zusammengefasst. Das ist immer spannender als die epischste Schlachtenbeschreibung: Der Leser muss ständig den Hintergrund mitdenken, sich in der bedrohlichen Hexer-Welt aus Schein und Wahn selbst zurecht finden. Auf diese Art entfesseln eigentlich ruhige Momente (wie z.B. eine Unterredung in einem Wald kurz nach entscheidenden Schlachten) eine bedrückende Dramatik angesichts der Brutalität über die gesprochen wird.

Das „Das Erbe der Elfen“ die Einleitung in die Welt des Hexers darstellte und die Bedrohung Nilfgaards, das einst nur aufgrund des erbitterten Widerstands der Zauberer daran gehindert werden konnte, den gesamten Norden einzunehmen, einführte. Das Gefahrenpotenzial wird in „Die Zeit der Verachtung“ deutlich erhöht: Nach der Einleitung folgt der Fall der mühsam aufgebauten Welt. Alle Gegner wurden von Nilfgaard erfolgreich gespalten: Die menschlichen Königreiche sehen sich Überfällen von Nicht-Menschen ausgesetzt und die Zauberer, einst eine stolze Front gegen den Expansionsdrang Nilfgaards sind mittlerweile den Verlockungen des Imperiums erlegen. Die Tragik dieser Spaltung vermittelt Sapkowski in schlichter Eindringlichkeit: Der Untergang abstrakter Königreiche gehen dem Leser dabei genau so nahe wie berührende Einzelschicksale. „Die Zeit der Verachtung“ reagiert auf jede Heiterkeit mit einer bitteren Lektion, die Zeit des Staunens über die Welt des Hexers Geralt ist vorbei und es herrscht Krieg.

In Verbindung mit dem gleichzeitig sperrigen und eindringlichen Erzählstil gelingt es Sapkowski auf jeder Seite starke Emotionen gegenüber den Vorgängen und Schicksalen herauszuarbeiten. Viele Charaktere erhalten nur kurze Auftritte und erscheinen dennoch umgehend so vertraut, dass ihr Tod in Erinnerung bleibt. Sapkowskis Fantasy-Welt ist voll von skurrilen und doch authentischen Kreaturen. Sapkowski gelingt es unter anderem eine heitere und gleichzeitig intrigante Zauberergesellschaft, ein in der Wüste verirrtes Einhorn und eine Bande räuberischer „Ratten“ in kurzen Abschnitten als so vertraut erscheinen zu lassen, dass sie die Grundlage für drei emotionale Höhepunkte des Romans bilden.

Am Ende sind Geralt, Yennefer und Ciri so verstreut, dass sie einander nicht mehr umgehend helfen können. Sie alle haben traumatische Erfahrungen in der „Zeit der Verachtung“ gemacht. Von den drei Protagonisten steht Ciri im Mittelpunkt der Handlung. Ihre adlige Abstammung von einem Königreich zwischen Nilfgaard und dem Norden macht sie zu einer wertvollen Partie. Das Mädchen wird in diesem zweiten Teil jedoch deutlich stärker geprüft als noch im Vorgänger: Die zweite Hälfte des Romans dreht sich ausschließlich um ihre entbehrungsreiche und einsame Flucht vor den Schergen Nilfgaards. Angesichts der epischen Auseinandersetzungen ist diese Zuspitzung auf den mysteriösesten Charakter der Erzählung sehr gelungen: Während die Welt im Hintergrund in Flammen steht, wird Ciri zur letzten Bedrohung für Nilfgaard. Der Leser ist bereits zuvor mit dem Schicksal der jungen Ciri emotional verbunden, mit „Die Zeit der Verachtung“ hängt jedoch auch die Freiheit der nördlichen Königreiche an ihrer Zukunft.

„Die Zeit der Verachtung“ übertrifft seinen Vorgänger: Der Roman behält den außergewöhnlichen Erzählstil bei und zeichnet mit ihm ein spannendes Charakterkammerspiel vor der Kulisse einer untergehenden Welt. Das ist so überzeugend, dass man umgehend dem dritten Teil der Reihe entgegenfiebert.

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