Die Geschichte der Bienen (von Maja Lunde)

Die Geschichte der Bienen von Maja Lunde

Im Jahr 1852 ist der englische Biologe William Savage nach einigen wissenschaftlichen Fehlschlägen durch seine Melancholie ans Bett gefesselt. Nur der Wille, seinen Sohn Edmund zu beeindrucken, treibt ihn zu einem letzten großen Projekt: Einen Bienenstock zu entwickeln, bei dem man die Bienen studieren und den Honig ernten kann, ohne Stock und Bienen zu vernichten. Im Jahr 2007 steht George mit seinem Bienenhof in Ohio vor dem Problem, seinen Sohn Tom für das eigene Handwerk zu begeistern. Sein Sohn vertieft sich lieber in Büchern und seinem Studium als auf dem Hof zu helfen. Zu allem Überfluss muss George nicht nur gegen seinen Sohn kämpfen, sondern auch gegen das mysteriöse Bienensterben, das in den USA eingesetzt hat. Im Jahr 2098 gibt es keine Bienen mehr. Die chinesische Arbeiterin Tao bestäubt im Akkord Pflanzen, um der Menschheit auf niedrigem Ernährungsniveau das Überleben zu sichern. An ihrem einzigen freien Tag des Jahres wird ihr Sohn Wei-Wen bei einem Ausflug auf einmal krank. Die Regierung nimmt ihr den Sohn weg und sie begibt sich auf eine Reise, ihn wiederzufinden und den Grund führ seine plötzliche Krankheit in Erfahrung zu bringen.

Die An- wie die Abwesenheit der Bienen ist die Kulisse dieses Romans. Doch der Schwerpunkt des Romans liegt auf drei Familienkonstellationen. Zunächst dreht sich die Handlung um zwei Vater-Sohn Konflikte. Die Entwicklung eines Bienenkorbs ist für William der verzweifelte Versuch, die Aufmerksamkeit seines Sohns zu ergattern. Für die Autorin bietet er gleichzeitig die Gelegenheit über die Frustration des knappen Scheitern zu reflektieren. George ist ebenfalls mit einem schwierigen Vater-Sohn Konflikt konfrontiert. Dieser dreht sich zunächst um die Frage, ob die Bienenhaltung überhaupt interessant ist. Mit der Zeit kristallisiert sich jedoch der wahre Konflikt heraus: Nicht das ob, sondern das wie der Bienenhandlung steht für Georges Sohn Tom im Mittelpunkt. For Tao stellt sich diese Frage nicht mehr, die auf Pestiziden bauende Landwirtschaft der Menschheit hat sich selbst zerstört. Sie muss in einem sklavenartigen Verhältnis für die Bestäubung von Pflanzen sorgen. Die chinesische Gesellschaft, die in diesem dritten Abschnitt dargestellt wird, ist eine absolute Dystopie. Bienen sind für alle drei Hauptprotagonisten faszinierende und liebenswürdige Tiere, doch während sie für William und George vor allem Enttäuschungen bereit halten, symbolisieren sie für Tao Hoffnung.

Durch die Thematisierung des Insektensterbens und der Massenindustrie plädiert der Roman für einen ökologischeren Blickwinkel auf unsere Nahrungsmittelgewinnung. Das geschieht selten mit dem Zeigefinger, nur ein Besuch Taos in einer verlassenen Bibliothek ist teilweise etwas zu pädagogisch geraten. Im Rest des Romans steuert Lunde auf eine leider nur all zu wahre Aussage zu: Es braucht ein absolutes Desaster, um die Menschheit zum Umdenken zu bewegen. Doch selbst als der Großteil der Menschheit angesichts der Nahrungsmittelknappheit zugrunde gegangen ist, werden neue Chancen als erstes im Lichte bekannter, industrieller Denkformen analysiert. Die Protagonisten in „Die Geschichte der Bienen“ zeigen stattdessen wie man mit Leidenschaft alternativere, humanere Wege findet. Das ist sehr überzeugend.

Der Roman zieht seine Stärke jedoch nicht aus seinem ökologischen Thema, sondern wegen seiner lebendigen Charaktere. Sie alle sind liebenswürdig, sorgen sich um ihre Kinder und haben dennoch Schwächen. So übersehen William und George zum Beispiel völlig die starken Frauen in ihrem Umfeld, die ihnen manchen Ärger ersparen könnten. Die vielen Gefühlsregungen, die William, George und Tao für ihre Söhne empfinden, die beklemmende Darstellung einer entbehrungsreichen und menschenfeindlichen Zukunft ohne Bienen und die engagierten Versuche, das Bewirtschaften von Bienenstöcken mit einer artgerechten Haltung zu verbinden, gelingen Lunde sehr gut. Dabei sorgen Taos Erlebnisse in der Zukunft für die spannendsten und erschreckendsten Momente, während William und George die bewegenderen Familienkonflikte austragen.

Die drei Zeitebenen werden in kurzen Kapiteln im ständigen Wechsel präsentiert. Diese regelmäßigen Sprünge erhöhen das Erzähltempo. Dabei lassen die knappen Abschnitte jedoch nicht immer tiefgehendere Vorgänge zu, in vielen Fällen beschränken sich die Kapitel auf Gespräche oder Szeneneindrücke. Lunde gelingt im Verlauf des Romans diese oberflächlichen Betrachtungen geschickt miteinander zu verbinden, sodass sich vor dem Leser am Ende eine Erzähllinie von 1852 bis 2098 entfaltet. Der Roman ist dadurch nicht nur ökologisch nachdenklich, sondern fesselt den Leser vor allem ab der zweiten Hälfte mithilfe der überzeugend gezeichneten Charaktere und der cleveren Verknüpfung aller Handlungsebenen zu einem spannenden Gesamtpanorama.

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