Ausstellungsstück (von Philip K. Dick)
|George Miller ist ein Historiker in der Zukunft. Er beschäftigt sich mit den 50er-Jahren des irdischen 20. Jahrhunderts. Dabei geht er ausgesprochen penibel vor, versucht das Jahrzehnt so genau wie möglich abzubilden und in den Ausstellungsräumen seines Museums zu präsentieren. Eines Tages gerät er in eines seiner Ausstellungsstücke und stellt überrascht fest, dass er dabei eine Art Brücke in die 50er-Jahre überschritten hat. Anders als in der autokratischen Zukunft ist er hier frei, seine eigene Familie zu gründen, seine Arbeitsstelle frei zu wählen und sich frei zu äußern. Seine Vorgesetzten versuchen ihn über das Loch im Gartenzaun zur Rückkehr zu bewegen. Miller entscheidet sich für das technisch rückständige, gesellschaftlich aber freiere Amerika der 50er-Jahre. Er schlägt die Warnungen seiner Vorgesetzten, sie würden das Ausstellungsstück vernichten, in den Wind; er wähnt sich mithilfe einer Zeitmaschine tatsächlich in den 50er-Jahren. Als er nach dem letzten Gespräch die Zeitung aufschlägt, liest er über die neue Kobaltbombe der UdSSR, die Zerstörung der Welt steht bevor.
Millers Faszination mit den 50er-Jahren wirkt zunächst ulkig. Das liegt natürlich auch daran, dass das Jahrzehnt aus heutiger Perspektive nicht wie ein Hort der Freiheit erscheint. Dennoch gelingt es Dick in wenigen Absätzen deutlich zu machen, dass in der Zukunft individuelle Freiheitsrechte deutlich eingeschränkter sind. Während die Technik sich weiter entwickelt hat, gilt dies offensichtlich nicht für die Gesellschaft, die noch hierarchischer geworden ist.
Ein Großteil der Kurzgeschichte besteht daraus, dass Miller sich in seiner 50er-Jahre Welt zurecht findet. Er gerät in eine Situation, in der ihn eine Familie kennt, er jedoch weder von seiner „Frau“ noch von seinen „Kindern“ weiß. In der Folge sucht er erst einmal einen Psychologen auf. Dieser Abschnitt ist gelungen, der Leser wundert und staunt mit Miller. Allerdings arbeitet dieser Abschnitt nicht wirklich auf einen Höhepunkt hin: Das Gespräch mit dem Psychologen gibt Miller lediglich die Idee nach einem Durchgang zwischen den Zeiten zu suchen, durch den er letztlich in ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten verwickelt wird. Das sorgt für etwas Staunen, ist aber nicht besonders spannend.
Am Ende bleiben zwei Ideen aus der Kurzgeschichte hängen. Die erste ist, wie unterschiedlich Lebenssituationen interpretiert werden können. Das Familien- und Arbeitsleben, das Miller hier erlebt, würde von vielen Herren der 50er-Jahren vermutlich als mühselig empfunden werden. Für Miller ist es jedoch eine Verbesserung gegenüber seinem Leben in der Zukunft. Dieser Perspektivwechsel ist interessant. Noch interessanter ist aber die Idee, dass die ganze Welt lediglich ein Teil eines Ausstellungsstücks ist. Die Frage, was die Realität ist und wie man sie identifizieren kann, ist ein häufiges Motiv in Science Fiction Romanen, Kurzgeschichten und Filmen. In gewisser Weise greift Dick hier vielen Erzählungen mit seiner Idee, ein ganzes Abbild einer Epoche könnte ohne das Wissen der Beteiligten lediglich ein Ausstellungsstück sein. Filme wie „Matrix“ zeigen, dass diese Idee auch heute noch fasziniert.
„Ausstellungsstück“ (orig. „Exhibit Piece“), geschrieben 1953, veröffentlicht 1954 im „If“-Magazin ist auf Deutsch unter anderem im Band „Das Vater-Ding“ der Dick-Sammlung „Sämtliche 118 SF-Geschichten in fünf Bänden“ des Haffmans Verlag bei Zweitausendeins erschienen.