Tony und die Käfer (von Philip K. Dick)

Tony ist auf dem Weg in die Stadt als er erfährt, dass die menschliche Flotte in einer entscheidenden Schlacht gegen die Pas verliert. Die Menschheit hat diese käferartige Rasse seit einer Weile unterjocht. Auch auf der Kolonie, in der Tony lebt, gibt es nur wenige, die Macht in den Händen haltende Menschen. Der Großteil der Bevölkerung sind Pas, unter anderem alle anderen Käfer. Auf dem Weg in die Stadt, in der ausschließlich Pas leben, schlägt Tony bereits Feindseligkeit entgegen. Als er bei seinen Freunden angekommen ist, weigern diese weiterhin mit ihm zu interagieren. Bevor er sich umwenden kann eskaliert die Situation: Befeuert von der Erkenntnis, das Menschen nicht unbesiegbar sind, beginnen die Pas ihren langen angestauten Zorn an Tony auszulassen. Erschreckt verändert sich sein Weltbild innerhalb von Sekunden: Von seiner durch seine Freunde befeuerten positiven Einstellung gegenüber den Pas bleibt nichts mehr übrig. Als er kurz darauf gerettet wird, erkennt er zwar die menschliche Dominanz als Ursache für den Zorn der Pas, glaubt aber auch, dass den Menschen keine Wahl bleibt, als die existenzielle Auseinandersetzung mit den Pas für weitere Jahrzehnte und Jahrhunderte fortzusetzen – bis eine Seite ausgelöscht wird.

„Tony und die Käfer“ beschreibt die Besatzung einer Welt sowie die Unterdrückung eines ganzen Volkes aus der Sicht eines Besatzerkindes. Tony hegt keine Abneigung gegen die „Käfer“. Für ihn ist es selbstverständlich, mit den Pas-Kindern zu spielen, zur Schule zu gehen und gemeinsam Projekte zu entwickeln. Anders als sein Vater sieht er in den Pas nichts minderwertiges. Daher geht er äußerst naiv in seinen Gesprächen mit den Pas vor. Ihn interessiert, wie sie ihren sich andeutenden militärischen Sieg sehen. Was für Tony eine Schlacht ist, änder für die Pas alles. Seit über einem Jahrhundert haben sie jede Schlacht verloren, wurden immer weiter zurück gedrängt. Nun sehen sie die Zeit für einen Gegenschlag, ein Aufstand wird vorbereitet. Tony versteht all dies nicht: Er ist sich keiner Schuld bewusst, schließlich hat er an keinem Kampf teilgenommen, sein ganzes Leben in der Kolonie verbracht. Erst als seine Freunde ihm gegenüber gewalttätig werden, versteht er, dass er sie nie verstanden hat: Seit der Besetzung durch die Menschen, haben die Pas auf seiner Kolonie darauf gewartet, das Joch der menschlichen Dominanz abstreifen zu können, ihre Abneigung mussten sie angesichts der überlegenen Waffen der Menschen verheimlichen, abgelegt haben sie sie jedoch nie. In dieser Erkenntnis verändert Tony seine Position. Er wird nicht so radikal wie sein Vater, er kann die Emotionen seiner Freunde verstehen. Doch er erkennt auch, dass sie niemals seine Freunde waren: Wenn eine Gruppe eine andere dominiert, so die Aussage dieser Kurzgeschichte, dann kann es keine gleichberechtigte Freundschaft zwischen Individuen geben.

Dick gelingt es in wenigen Sätzen beide Seiten überzeugend darzustellen. Tonys naive und äußerst optimistische Sichtweise ist genau so verständlich, wie der Zorn und die Verletzungen der Pas. Im Nachkriegsklima der 50er-Jahre vermittelt diese Kurzgeschichte die Botschaft, dass alle Seiten repräsentiert sein müssen, um wirklich einvernehmlich zusammenleben zu können. Jedwede Dominanz mag für ein Jahrhundert Bestand haben und ist doch nie von Dauer. Auch die schwächste unterdrückte Gruppe wird irgendwann einen Widerstand organisieren, der erfolgreich ist. Denkt man an die USA der 50er-Jahre so lassen sich viele Parallelen zu den Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts der damaligen Zeit ziehen. Gleichzeitig ist die abstrakte Erzählung aber immer noch aktuell. Dick zeichnet hier eine düstere Zukunftsversion der Menschheit, die weiterhin nur mittels Dominanz expandieren kann. Dabei ist sie blind für die Verletzungen und Ausgrenzungserfahrungen eines Großteils ihrer kolonialen Bevölkerung. Dass gesellschaftlicher Zusammenhang für eine friedliche Gesellschaft unerlässlich ist, scheint auch heute an vielen Stellen vergessen zu werden. Die Kunst in Unterschiedlichkeit zusammenzuleben ist enorm anstrengend und dennoch die einzige Möglichkeit, friedlich zu koexistieren. Die Hybris zu denken, man könne sich mit der eigenen Meinung permanent durchsetzen, ohne andere Seiten zumindest durch Meinungs- und Wahlfreiheit die Chance zu geben, sich durchzusetzen, ist in den verschiedenen autokratischen Bewegungen der letzten Jahre wieder auf dem Vormarsch. In „Tony und die Käfer“ zeigt Dick spannend und dennoch nachdenklich, dass wenn wir nicht lernen, einander mit Verständnis und auf Augen Höhe zu begegnen, wir über kurz oder lang an der eigenen Überheblichkeit zugrunde gehen werden.

„Tony und die Käfer“ (orig. „Tony and the Beetles“), geschrieben 1953, veröffentlicht 1953 im Magazin „Orbit Science Fiction“ ist auf Deutsch unter anderem im Band „Das Vater-Ding“ der Dick-Sammlung „Sämtliche 118 SF-Geschichten in fünf Bänden“ des Haffmans Verlag bei Zweitausendeins erschienen.

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