Reise ans Ende des Frühlings (von Vitomil Zupan)
|Ein Gymnasiallehrer sieht sich mit einem ungewöhnlichen Schüler konfrontiert. Tajsi verfügt über ein poetisches Talent, ist aber auch dreist und unbeherrscht. Der Lehre, der gleichzeitig als Ich-Erzähler fungiert, erkennt in Tajsi sich selbst in seiner Jugend wieder. Auch er versuchte einst Schriftsteller zu werden, wurde dann aber durch negative Kritiken und Heirat zum Lehrer. Der Umgang mit Tajsi, mit dem er beginnt über Literatur zu diskutieren, wird rasch zu einem Wettstreit. Der Lehrer kämpft darum seine Autorität gegenüber dem Schüler, dem er sich gleichzeitig sowohl in Sprachtalent als auch in Potenz unterlegen fühlt, zu wahren. Die Begegnung und Hass-Liebe sorgt für immer weitere Selbstzweifel des Lehrer, die sich wiederum in immer wilderen Ausbrüchen gegenüber seinem Umfeld niederschlagen.
„Reise ans Ende des Frühlings“ ist die Geschichte eines abrupten Kontrollverlustes. Der Lehrer ist mit seinen eigenen Entscheidungen, seinem Lebensentwurf alles andere als zufrieden. Er fühlt sich zu höherem berufen, steht aber dennoch jeden Tag vor seinen unmotivierten Schülern. Seine Frau ist der festen Überzeugung, ihn durch und durch zu kennen. Der Lehrer selbst fühlt sich von ihr jedoch in keine Art verstanden. Diese Beziehung, die glaubwürdig in die Jahre gekommen ist, bildet die stärkste Komponente des Buches. Die Selbstgewissheit Sonjas, die glaubt ihren Gatten immer zu durchschauen, ist geradezu schmerzhaft. Denn sie hat überhaupt keine Vorstellung davon, was in der unsteten Gefühlswelt ihres Mannes tatsächlich vor sich geht.
Die Konkurrenzsituation mit Tajsi entsteht geradezu plötzlich. Sie beginnt mit der Bitte, einige Manuskripte gegenzulesen. Hier muss der Lehrer erkennen, dass er vor Eifersucht brennt. In der Folge versucht er sich permanent über Tajsi zu stellen und vor allem dessen Verehrerinnen von sich selbst zu überzeugen. Die Verbissenheit mit der der Lehrer versucht die jungen Damen zu bezirzen ist beinahe so schwer zu ertragen wie die Interaktionen mit Sonja. Hier setzt der Roman zum nächsten Wurf an: Indem Tajsi die Vorteile Sonjas erkennt, wird die Gattin des Lehrers auch für den Ich-Erzähler wieder attraktiver. Freilich verliebt er sich nicht erneut in seine Gattin, sondern verehrt die von Tajsi entdeckte Version – die natürlich genau so wenig von Sonjas wahrem Charakter enthält wie Sonjas Version ihres Gatten.
Auch dies wird dem Lehrer langsam klar und so geht der Kontrollverlust immer weiter. Wild betrinkt er sich, wird gegenüber Kollegen überheblich und ausfällig und gefährdet immer mehr seine gesellschaftliche Stellung und damit auch seinen Job. Garniert wird dies durch immer weiter aus dem Ruder laufenden sexuellen Fantasien. Diese Flucht in den Eskapismus, der gleichzeitig die eigene Lebensgrundlage bedroht, ist faszinierend und bewegend. Am Ende sind es gut meinende Kollegen, die den Lehrer wieder einfangen. Außerdem wird die Beziehung mit Sonja durch eine Schwangerschaft neu gestartet. Und so wird der Lehrer vom konservativen Milieu, in dem er sich überhaupt nicht wohl fühlt, wieder auf den rechten Weg gebracht. Von Dauer ist das nicht. „Die Reise ans Ende des Frühlings“ wird dadurch aber zum eindrucksvollen Text über die Unfähigkeit, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche im Korsett „geordneter“ Verhältnisse auszuleben inklusive einer anschaulichen Darstellung, dass es in wirklich geordneten Verhältnissen nicht einmal richtig möglich ist, diesen durch Selbstzerstörung zu entfliehen.
Vor allem durch die starken, überzeichneten und gerade deswegen in ihrer Fatalität überzeugenden Protagonisten ist „Reise ans Ende des Frühlings“ tatsächlich eine wilde Reise in die Gedankenwelt einer zutiefst unzufriedenen Person, die plötzlich des Feuer des Widerstands in sich entdeckt und dennoch nicht in der Lage ist eine ernstzunehmende Alternative zu entdecken. Der Ausbruch der daraus entstehenden Frustration ist gleichzeitig unterhaltsam und bedrohlich verstörend.