Prinzip Hoffnung

Das Vereinigte Königreich und Frankreich haben in der vergangenen Woche gewählt. In beiden Ländern haben sozialdemokratisch orientierte Parteien die größten Zugewinne verbucht. Zunächst erzielte die derzeit sehr links ausgerichtete Labour Party einen große Überraschung: Von einst 28% hat Jeremy Corbyn seine Partei auf 40% hochgekämpft. Das reicht zwar nicht für eine Regierungsmehrheit, doch die regierenden Konservativen haben ihre Mehrheit verloren und können ihre Austeritäts- und Kahlschlagspolitik nicht mehr unkontrolliert fortsetzen. In Frankeich hat die sozialliberale Bewegung Emmanuel Macrons ihren Siegeszug nach der polarisierten Präsidentschaftswahl auch bei der pluralistischeren Parlamentswahl fortgesetzt. Wiederholt sich das gestrige Ergebnis am kommenden Sonntag, dürfte sich Macron auf eine Supermehrheit im französischen Parlament stützen können.

Natürlich gibt es graue Flecken in beiden Ereignissen. Corbyn wird nicht Premierminister, dafür fehlt ihm im Schottland sowohl einigen alten (und mittlerweile einwanderungskritischen) Arbeiterhochburgen noch immer die Mehrheit. In Frankreich wiederum erreichte die Wahlbeteiligung einen historischen Tiefstand. Nur eine Minderheit hat sich an der Wahl beteiligt, dies relativiert Macrons Wahlergebnis von ca. 28% (mit anderen Zentristen 32%). Außerdem steht hinter Macron eine Bewegung, keine Partei. Der 2012 siegreichen sozialistischen Partei ist es trotz Parteiapparat und gemeinsamen Traditionen nicht gelungen, die Parlamentsmehrheit in eine politische Entscheidungen verteidigende Mehrheit zu übersetzen. Stattdessen hat sich die Fraktion bereits nach kürzester Zeit zerstritten und stand sich bei wichtigen Gesetzesvorhaben selbst im Weg. Da sich Macrons Bewegung aus Neueinsteigern, aber auch aus ehemaligen Politikern vieler anderer Parteien zusammensetzt, ist das Risiko einer Wiederholung dieses Dramas nicht von der Hand zu weisen.

Trotz dieser Unkenrufe gilt für beide Ereignisse, dass sie noch im Dezember 2016 kaum vorherzusehen waren. Damals schien sich der Wettstreit in Frankreich um eine rechts-außen-neoliberale (Fillon) und eine extrem rechts-außen-étatistische (Le Pen) Vision zu drehen. Die Labour Party wiederum schien sich selbst zu zerfleischen und ins Abseits zu katapultieren. Sowohl Corbyn als auch Macron ist es gelungen, mit sozialdemokratischen Ansätzen sehr erfolgreiche Kampagnen zu bestreiten. Corbyns Version beinhaltete dabei klassische linke Positionen, die er aber geschickt mit einem Versprechen einer besseren und sozialeren Zukunft verband. Damit baute er einen starken Kontrast zu der auf Zweckrealismus, Austerität und sozialer Härte argumentierenden Conservative Party (und der in der Bedeutungslosigkeit verschwundenen UKIP) auf. Von den Konservativen trennt Corbyn nun gerade einmal 2,5%. Im britischen Mehrheitssystem bedeutet das im Parlament eine radikal kleinere Fraktion für die Labour Party – bei einer Wahlwiederholung könnte sich dieser kleine Abstand jedoch rasch umkehren. Macron wiederum argumentiert für eine Flexibilisierung der französischen Wirtschaft und eine Reform des politischen Systems. Dabei steht er in reformerischer sozialdemokratischer Tradition, die mehr demokratische Beteiligung fordert und mit wirtschaftlichen Reformen Wachstum erhalten aber soziale Standards schützen möchte (ob das Programm dann so umgesetzt wird, bleibt abzuwarten). Mit diesem Weg der Mitte hat sich Macron eine eindrucksvolle Mehrheit zwischen radikalen Linken (Mélenchon) und Rechten (Fillon, Le Pen) gebaut. Sozialdemokratisches Gedankengut lebt also trotz des Niedergangs vieler sozialdemokratischer Parteien weiter und ist auch angesichts erstarkender rechter Bewegungen weiterhin mehrheitsfähig.

Die Wahlen zeigen, wie Parteien verlieren, wenn sie die Parolen erfolgreicher extrem rechter Parteien übernehmen. In Frankreich haben Sarkozy und Fillon das für die Republikaner, François Hollande und Manuel Valls teilweise für die Sozialisten mit einwanderungskritischen Parolen getan; im Vereinigten Königreich hat Theresa May in der Europa- und der Einwanderungspolitik UKIP-Forderungen vertreten. Alle drei haben (in Frankreich radikal, in England moderat) Parlamentssitze verloren. Corbyn und Macron zeigen hingegen, dass man mit positiven und hoffnungsvollen politischen Botschaften ebenfalls Erfolge erzielen kann: Radikale oder reformerische sozialdemokratische Ansätze sind in Wahlen immer noch Zugpferde, wenn sie glaubwürdig und hoffnungsstiftend präsentiert werden. Dies gelingt nur mit glaubwürdigen Politikern, die nun in Frankreich und Großbritannien nach der Wahl in Regierung bzw. Opposition vor der Herausforderung stehen, die von ihnen erzeugten Hoffnungen zu erfüllen.

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