Falling Free (von Lois McMaster Bujold)

Leo Graf ist ein erfahrener Ingenieur. Sein Arbeitgeber GalTech beauftragt ihn daher, auf dem Cay Habitat neue Mitarbeiter zu schulen. Dort angekommen, wartet Leo eine Überraschung. Im Weltraum, weit von den Gesetzen menschlicher Kolonien entfernt, arbeitet GalTech an der Revolution der Weltraumarbeit: Mit genetischen Experimenten haben sie sogenannte Quaddies erschaffen, perfekt an die Schwerelosigkeit angepasst Menschen mit vier Armen und ohne Beine. Leo soll ihnen technisches Wissen aneignen. Doch bald darauf ist die Existenz der Quaddies bedroht und Leo muss ihnen etwas lehren, was sie nie besitzen sollten – Freiheit.

„Falling Free“ spielt lange vor den anderen „Barrayar“-Romanen aus der Feder Lois McMaster Bujolds. In der Hauptzeitlinie der Serie ist die genetische Forschung noch viel weiter fortgeschritten. Dort gibt es auf der einen Seite Gesellschaften wie die Beta Kolonie, in denen Klone Bürgerrechte haben. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch brutale Züchtungen, die einzig für das längere Überleben reicherer Kunden gedacht sind. Das Thema das Missbrauchs genetischer Forschung ist also ein Kernstück der Gesellschaftskritik im „Barrayar“-Universum.

„Falling Free“ entstand 1988 aufgrund der unchronologischen Arbeitsweise der Autorin als vierter Band der Reihe und somit noch bevor Klonen in „Brothers in Arms“ (1989) thematisiert wurde. Hier sieht man die schlimmsten Seite industriellen Klonens. Die Quaddies sind einzig für das Leben auf schwerelosen Raumstationen „designt“. GalTech plant nicht, sie in irgendeiner Weise monetär zu entlohnen. Ihre (teure) Existenz sei bereits der Lohn der Firma. Deswegen ist die Vorstandsebene sehr darauf erpicht, alle freiheitlichen Gedanken von den Quaddies fernzuhalten. Das resultiert in einem ausufernden Zensursystem. Die gezüchteten Quaddies sind somit eine ideale Bereicherung des Raubtierkapitalismus, der sich dadurch der hemmenden Frage nach der Bezahlung der für die Gewinnerzeugung oft notwendigen Arbeitskraft entledigt. Bujold hört dabei jedoch nicht auf. In „Falling Free“ zeigt sie, dass die Produktivkräfte des Kapitalismus jede technische Innovation in kürzester Zeit obsolet werden lassen können. In diesem Fall ist es die Erfindung von erschwinglichen Schwerkraftgeneratoren. Indem Raumstationen für Menschen bewohnbarer werden, verlieren die Quaddies ihre Existenzgrundlage. Dies ist der Wendepunkt der Erzählung: GalTech entscheidet darauf, die nicht mehr notwendige Arbeitskraft abzuschalten. Das bedeutet aus Kostengründen ein grausames (und aus Sicht von GalTech vor allem) und kurzes Leben auf der Oberfläche eines Planeten (mit Schwerkraft). Dies ist der Moment, in dem sich Leo nicht mehr hinter der Loyalität zu seiner Firma verstecken kann, sondern aktiv werden muss.

Neben den überzeugend und ohne lange Erklärungen bzw. Moralreden vorgetragenen  gesellschaftskritischen Elemten verblassen die Hauptprotagonisten ein wenig. Leo ist ein ehrlicher und anständiger Mensch, der Leiter der Station Van Atta ist hingegen ein durch und durch eigennütziger und unsympathischer Geselle. Die Quaddies sind von rührender Naivität geprägt. Trotzdem gelingt es Bujold in diese Konstellation eine Reihe von Nebencharakteren einzubauen, die zwar in erster Linie an sich selbst denken, doch sich von dem an den Quaddies verübten Unrecht berühren lassen. Kein Seitenwechsel geschieht dabei plötzlich, alles zeichnet sich über lange Zeit ab. Das erschafft eine sehr stimmige Atmosphäre, die das Interesse an der durchaus spannenden Handlung hochhält. Abgerundet wird diese gelungene Erzählung durch eine sich langsam aufbauende Liebesgeschichte. Diese ist zwar an einigen Stellen etwas plakativ ausgeführt, da sie aber nicht viel Platz des Romans einnimmt, funktioniert sie als gelungene Rahmenhandlung.

Alles in allem gelingt Bujold die Darstellung einer geradezu unerträglichen Ausbeutung genetischer Manipulation. Das alles ist niemals direkt moralisierend, sondern wird in einer spannenden und sympathischen Geschichte verpackt. Das ist so überzeugend, dass man sich einen zweiten Roman aus dieser Zeitperiode wünscht.

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