What’s the Matter with Kansas? (von Thomas Frank)

Im November 2016 gewann Donald Trump unter anderem durch die Unterstützung der konservativen Bewegung in den USA die Präsidentschaftswahlen. Bereits zehn Jahre zuvor untersuchte Thomas Frank, in Kansas aufgewachsen, die Konservative Wende in seinem Heimatstaat. Kansas nie eine demokratische Hochburg, tatsächlich hatten bis auf kürzeste Ausnahmen immer Republikaner die Mehrheit in allen Kammern des Staates. Doch der agraisch geprägte Bundesstaat war immer progressiv und rebellisch geprägt, freiheitlich gesinnt und aktiv gegen Kartellinteressen kämpfend und für die Interessen Kleinbauern kämpfend. Die konservative Wende hat mit dieser Tradition gebrochen: Im Schatten gesellschaftspolitisch konservativer Forderungen florierten wirtschaftspolitische Entscheidungen, die für das Fußvolk der konservativen Revolution drastische Einkommenseinbußen bedeuteten. Warum, fragt Frank, schließt man sich einer Bewegung an, die die eigenen Lebensumstände radikal verschlechtert?

Das Buch zeichnet viele parallel laufende Bewegungen nach. Die drei wichtigsten sind der Aufstieg konservativer Werte, die massive Verflechtung mit wirtschaftlichen Interessen und die Verleugnung liberaler Positionen. Frank zeichnet diese drei Prozesse detailreich am Beispiel Kansas nach. Der Aufstieg der Anti-Abtreibungsbewegung sowie evangelikaler Gemeinschaften fördert eine politische Kultur, die in erster Linie gesellschaftspolitische Themen diskutiert. Diese Bewegung geht eine Allianz mit wirtschaftspolitisch liberalen Vertretern ein, die jedweder staatlichen Regulierung ablehnend gegenübersteht. Regulierungen und Sozialpolitik werden bald genauso verteufelt wie Abtreibungen. Der dadurch einsetzende schleichende Lohnverfall wird willigend in Kauf genommen – so lange man nur die moralisch richtige Partei gewählt hat.

Die konservativen Republikaner liefern jedoch fast nie: Ihre gesellschaftspolitischen Versprechungen stellen sich in der Regel als nicht haltbar heraus. Ihre wirtschaftspolitischen Verheißungen werden jedoch oft umgesetzt, ohne gutes für das eigene Wählerklientel zu bedeuten. Um davon abzulenken, wird die Moralkeule nur noch stärker geschwungen. Außerdem wird auf das vermeintlich dekadente, liberale Leben in den amerikanischen Großstädten an den Küsten gezeigt. Die (liberalen) Demokraten haben dieser heuchlerischen Strategie wenig gegenüberzusetzen. Denn mit ihrer rhetorischen Wende zu gesellschaftlich liberalen Themen anstatt ökonomisch sozialeren Positionen haben sie der Landbevölkerung in Kansas nichts mehr anzubieten. Franks Kernaussage ist: Clintons Neue-Mitte Koalition bietet der Arbeiterklasse Mittelamerikas keine Aufstiegsperspektive mehr. Auf der Suche nach neuer Identifikation wendet sich diese einer Ideologie zu, die sie zwar ausbeutet, aber immerhin ein ideologisch sicheres Fundament bietet, dass die Demokraten nicht mehr im Angebot haben. Wenn man mit einer Stimme gegen Abtreibungen den eigenen Lohn senkt, ist das zwar schlimm, fühlt sich aber richtiger an als einfach den Demokraten eine Stimme zu geben – die den eigenen Lohn ebenfalls nicht rettet.

Die Besonderheit in Kansas ist, dass die Trennlinie gar nicht zwischen Demokraten und Republikanern verläuft, sondern innerhalb der republikanischen Partei. Hier gab es in den 90er-Jahren eine Reihe standhafter, moderater Republikaner, die sich der radikalen Wende widersetzten. Franke zeichnet beeindruckend nach, wie diese einst stolzen und erfolgreichen Republikaner immer mehr in die Defensive geraten. Heute, mehr als zehn Jahre nach dem Erscheinen des Buches, hat die moderate Seite der Republikaner an vielen Orten in den USA verloren. Die oben beschriebenen Probleme der Demokraten sind jedoch geblieben. Das Ergebnis sind radikale Gouverneure in Kansas wie Sam Brownback, die – von Frank zur Veröffentlichung des Buches noch ungeahnt – Kansas mittlerweile so heruntergewirtschaftet haben, dass der Staat es kaum noch schafft, die eigenen Schulen zu betreiben. Und natürlich hat Kansas Donald Trump mit einer überragenden Mehrheit unterstützt.

Im Windschatten dieser Bewegung triumphierten aus der Sicht des Jahres 2005 wirtschaftliche Großinteressen und eben nicht der „average Joe“ für den die konservative Bewegung einsteht. Wenn man sich die de-regulierende Wirtschaftspolitik Donald Trumps anguckt, die weitaus erfolgreicher ist als seine aggressiv abschottende gesellschaftspolitische Rhetorik so wiederholt sich das selbstverletzende Ergebnis konservativer Wähler nun auch auf der US-Bundesebene. Die scheinheilige Einstellung – Trump weicht immer wieder auf persönliche Beleidigungen und diskriminierende Äußerungen aus, wenn unpopuläre wirtschaftliche Entscheidungen anstehen – ist geblieben. Eine Antwort haben die US Demokraten auf diese Strategie bis heute nicht gefunden. Nach der Lektüre von Franks Buch ist man um eine zuspitzende und engagierte Analyse der populistisch-konservativen Strategie reicher. Praktikable Strategien gegen die teuflische Verbindung religiöser und traditioneller Verheißungen mit ökonomischer Ausbeutung findet man jedoch auch in diesem Werk nicht.

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