Les Derniers Jours De La Classe Ouvrière (von Aurélie Filippetti)

(dt. „Das Ende der Arbeiterklasse“)

„Les Deniers Jours de la Classe Ouvrière“ ist die Biographie der Familie der Autorin. Ohne chronologische Folgen zu beachten, bringt Filippetti dem Leser die Geschichte der Arbeiterklasse ihrer Heimatregion Lothringen näher. Die Minen der Region werden bereits vor dem zweiten Weltkrieg von italienischen Migranten betrieben, die Profite gehen an französische und luxemburgische Großunternehmer. Der Widerstand gegen die Nazis in der Region wird überwiegend aus der Arbeiterklasse und darunter überwiegend von Italienern organisiert, die nach dem zweiten Weltkrieg wiederum an vorderster Front in den Minen arbeiten. Doch trotz der widrigen Umständen, rücksichtslosen Unternehmen und einer (lange Zeit rechten) Politik, die ihre Lebensumstände ignoriert, organisieren sich die Arbeiter der Region hoffnungsvoll in Gewerkschaften und (kommunistischen) Parteien in der steten Erwartung auf eine bessere Zukunft. Mit den Stahlkrisen der 70er und 80er Jahren bröckelt diese Hoffnung bis sie durch die endgültige neoliberale Wende in den 90ern endgültig zusammen mit vielen ihrer stolzesten Vertreter begraben wird.

Die Erzählung über die eigene Familie ist eine Heldengeschichte über Arbeiter, die in einem fremden Land nicht nur die Grundlage für den Wohlstand der Region legten, sondern durch ihre Organisationsfähigkeit nicht nur die eigene Situation sondern die des ganzen Landes verbesserten. Filippetti schildert dies in künstlerisch ambitionierten, kurzen und nicht chronologisch geordneten Kapiteln. Die vielen Sprünge geben dem Roman in Verbindung mit teilweise recht pathetischen Passagen eine interessante Atmosphäre. Als Leser arbeitet man daran die Geschichte der Familie wie der Region zu konstruieren und verschiedene Hoffnungen und Leistungen einzuordnen. Die Faszination über die Migranten und Arbeiter der Region, die es in harter Arbeit nicht nur geschafft haben, sich eine Existenz aufzubauen, sondern auch ihre eigene Ziele über Gewerkschaften und Parteien durchzusetzen, übertragt sich durch Filippettis Roman auf den Leser.

Gleichzeitig ist der Roman die Erzählung einer enttäuschten Hoffnung. Ein sozialistisches Projekt müsse sich durch hartnäckige Organisation zwangsläufig durchsetzen, glauben die meisten Protagonisten des Romans. Als es in Frankreich 1980 endlich so weit ist und die sozialistische Partei zusammen mit den Kommunisten die Regierung stellt, wartet auf die Arbeiter in erster Linie eine große Enttäuschung. Denn der Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie kann auch von den Sozialisten nicht aufgehalten werden. Die Kapitalisten verdienen weiterhin und in neuen Industriezweigen ist die Organisationsbegeisterung durch die drohende Arbeitslosigkeit alles andere als hoch. Der Zusammenhalt in der Region bröckelt, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen werden gegeneinander ausgespielt und anstatt der gemeinsamen Arbeit gegen Ausbeutung beäugt man sich mit misstrauen. Am Ende stellt sich auch das Gesundheitssystem, das Lungenkrebs auf das Rauchen statt auf die Arbeitsbedingungen in den Minen schiebt, gegen die Arbeiter. Die Region verliert durch diesen Umbruch ihre Industriestruktur aber durch den Niedergang der Kommunistischen Partei auch ihre Identität sowie ihre Hoffnung. Mit der Schließung der letzten Stahl- und Bergwerke bleibt eine hohe Arbeitslosigkeit zurück und ein beängstigender Aufstieg des Front National (der 2003 als der Roman verfasst wurde bei weitem noch nicht so stark war wie heute).

Das ist auf engem Raum dicht und faszinierend sowie immer mit den Arbeitern der Region beschrieben. Der Roman erschafft Bewunderung für die Leistungen einer Generation und erzeugt Wehmut für eine Zeit, in der man sich noch zusammen für Ziele organisiert hat anstatt sich gegeneinander auszuspielen. Und dennoch beschleicht den Leser gelegentlich das Gefühl, die Zustände würden idealisiert: Denn alles in allem krankt die französische linke Politik noch mehr als die anderer Länder an der Zersplitterung vieler sozialistischer, sozialdemokratischer sowie kommunistischer Bewegungen. Die organisierte Einheit der Arbeiterklasse gab es in der Realität nie, die gemeinsame Identität schon. Wie man aus letzterem eine an der arbeitenden Bevölkerung sowie humanistischen Werten orientierte Politik schmieden könnte, bleibt eine offene Frage. Dass dies aber nicht ohne Hoffnungen und Visionen auskommt, zeigt dieser Roman auf schöne Art.

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