Lagoon (von Nnedi Okorafor)
|Aliens landen vor Lagos im Wasser. Die Ankunft der Außerirdischen verursacht eine Flutwelle, bleibet ansonsten jedoch unbemerkt. Lediglich drei Menschen, die von der Flut ins Wasser gezogen werden und kurz danach mit einem der Besucher wieder zurückkehren, ahnen, was geschehen ist. Während der Meeresspiegel langsam ansteigt und im Wasser unbekannte Kreaturen auftauchen, wird den Bewohnern Lagos und ihren korrupten Sicherheitskräften langsam klar, was geschehen ist. Die drei Menschen Adoara, Anthony und Agu entdecken derweil, dass sie selbst über ungeahnte Fähigkeiten verfügen.
Von einer „Invasion“ kann man bei den Aliens in diesem Roman nicht sprechen. Stattdessen handelt es sich zunächst einmal um eine Art freundlichen Besuch. Vorausgeschickt wird nur ein Wesen, das die weibliche Form eines Menschen annimmt und mit gerade einmal drei Bewohnern Lagos interagiert. Dennoch wird relativ schnell deutlich, dass das Ziel der Besucher, das gemeinsame Leben in und um Lagos ist. Dadurch stellt sich sofort die Frage, ob die Menschheit, die nicht einmal Einheit unter einander schaffen kann, für so etwas bereit ist.
Die Ereignisse in Lagos ziehen dies sofort in Zweifel. Christliche Sektenführer sehen es als ihre Mission, die Außerirdischen zu ihrem Heiland zu bekehren. Straßenbanden erhoffen sich durch die Entführung des Alien die lange erträumte Rettung von allen Geldsorgen. Soldaten und Polizeibeamte in Nigerias korruptem Staatsapparat sehen in erster Linie ihre Aufstiegsmöglichkeit, wenn sie der „Invasion“ ein schnellstmögliches Ende setzen. Und natürlich gibt es Bürger, die aus Angst vor dem Fremden versuchen, gegen die Fremden vorzugehen. Die verschiedenen Reaktionen auf die Alien-Ankunft nutzt Okorafor, um ein buntes Panorama von Nigerias größter Stadt zu zeichnen. „Lagoon“ ist nämlich in erster Linie ein Roman, der Lagos als Stadt feiert und zelebriert: Die Höhen und Tiefen der Stadt bilden einen einzigartigen Ort, in dem Außerirdische für eine Weile unerkannt bleiben können, als Hoffnungsträger empfangen werden oder als Hexen verdammt werden können. Lagos ist damit der eigentliche Hauptcharakter des Romans.
Natürlich lädt die Ankunft in Lagos auch zu einem Gedankenspiel ein: Was wäre passiert, wenn die Besucher an anderen Orten gelandet wären? Vermutlich käme es entweder schneller zu gewalttätigen Auseinandersetzungen durch besser organisierte und noch paranoiderer Militärs oder aber durch eine rasche Abschirmung der Besucher von der Zivilbevölkerung. Insofern impliziert das zwischen Kontrolle und Anarchie schwankende Setting in Lagos, dass dies nicht nur der interessantere Handlungsort, sondern womöglich auch der vielversprechendere Ort für eine gesunde Kommunikation zwischen Menschen und Besuchern ist.
Neben der faszinierenden Schilderung Lagos, gelingt es Okorafor aber auch eine Reihe eindringlicher Protagonisten zu gestalten. Die Kulisse bilden eine Reihe von oben beschriebenen Typen: Der Prediger, der gewalttätige Gatte, die skrupellose Straßengang. Dazwischen stechen aber vor allem Adoara, Anthony und Agu heraus – die Meeresbiologin, der Rapper und der Soldat. Gemeinsam versuchen sie ihre außerirdische Besucherin vor Lagos zu schützen und gleichzeitig mit dem Präsidenten von Nigeria zusammenzubringen. Auf dieser Reise ins Zentrum der nigerianischen Macht erlebt man nicht nur noch mehr von Lagos, sondern auch wie die drei sich ihrer Vergangenheit stellen und dabei ungeahnte Fähigkeiten entdecken. Diese Selbstfindung ist keine komplette Charakterwandlung, aber eine netter Erkundungsgeschichte, die gut in den Roman passt.
Letztlich macht Lagoon anhand seiner Charaktere deutlich, dass sich durch die Ankunft der Aliens viel verändern wird und dass das gar nichts Sensationelles ist. Denn in großen Städten wie Lagos und eigentlich überall auf der Welt ändern sich Gegebenheiten ständig. Wandel ist Alltag und die Ankunft der Außerirdischen nur ein weiterer Baustein eines sowieso existierenden Wandels. Diese unaufgeregte und gleichzeitig facettenreich-spannende Darstellung einer Alien-Ankunft überzeugt damit sowohl auf der Stadt- als auch der Charakterebene.