The Long Way to a Small Angry Planet (von Becky Chambers)

dt. Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten

Rosemary Harper tritt unter falscher Identität eine Stelle auf der Wayfarer an. Dieses von Captain Ashby geführtes Raumschiff ist dafür zuständig, die technischen Voraussetzungen für sichere Überlichtsprünge zu schaffen. In der Regel ist das eine Routinetätigkeit, nur in seltenen Fällen kommt es dabei zu Komplikationen. Allerdings operiert man bei der Arbeit immer am Rande des bekannten Raums – was Rosemary gerade recht ist, da sie vor ihrer eigenen Vergangenheit flieht. Die Crew der Wayfarer besteht aus sechs weiteren Besatzungsmitgliedern verschiedener Spezies und einer überaus intelligenten KI. Da die Aufträge in letzter Zeit nicht besonders gut waren, geht Ashby kurz nach Rosemarys Ankunft auf einen fragwürdigen Deal des galaktischen Konsortiums ein: Die Wayfarer wird in den Raum einer bis vor kurzem noch verfeindeten Raummacht einfliegen, um dort eine Hypersprunglinie einzurichten. Diese liegt am anderen Ende des bekannten Raums, sodass die Wayfarer zunächst einmal eine lange Reise vor sich hat.

 Action sucht man in diesem Roman bis kurz vor dem Finale vergeblich. Die kleine Wayfarer ruckelt sich im Verlauf der Erzählung langsam aber sicher in Richtung des einst feindlich gesinnten Toremi Raums. Allen Gegnern, wie z.B. Piraten, denen sie unterwegs begegnet ist sie hauchhoch unterlegen. Steht also Rosemarys Vergangenheit im Zentrum des Romans? Auch davon kann man eigentlich nicht sprechen: Sie flieht vor den Verbrechen, die ihre Familie auf dem Mars begangen hat. Obwohl sie schon früher mit ihrer Familie brach wird sie zumindest von den Medien weiterhin in Sippenhaft genommen und erhofft sich, fernab der menschlichen Zivilisation eine neue Zukunft aufzubauen. Das wird relativ früh im Roman enthüllt und es geht hauptsächlich darum, wie der Rest der Crew auf diese Erkenntnis reagiert.

Worum geht es also? Der wirkliche Kern des Romans ist die Crew. Sie ist aus Mitgliedern verschiedener Völker zusammengewürfelt. So arbeitet auf der Wayfarer z. B. der äußerst grummlige Corbyn (Mensch), der für die überlebensnotwendigen Algen zur Treibstoffgewinnung zuständig ist. Aber vor allem liegt der Fokus auf interessanten Charakteren wie Dr. Chef, einer der letzten Überlebenden einer sterbenden Rasse, Ohan, ein Navigator, der die Welt aufgrund eines Parasiten komplett anders als das menschliche Auge sieht oder die vogelartige Sissix, deren Moral- und Sexualvorstellungen deutlich freizügiger sind als die der Menschheit. Die Menschheit selbst hat sich auf der Erde in die Kriegs- und Umweltkatastrophe gearbeitet und die mittlerweile wieder zahlreichen, im Weltraum überlebenden sind äußerst friedfertig. Aus diesem skurrilen Setting, das um weitere Charaktere wie z.B. den in die Bord-KI verliebten Techniker Jenks bereichert ist, erschafft Chambers einen wunderbaren Charakterroman.

Jedes Crewmitglied wird im Verlauf der Reise auf die ein oder andere Weise mit einer existenziellen Herausforderung konfrontiert. Mal erfährt man Unerwartetes über die eigene Herkunft, ein anderes Mal muss man sich mit unerwarteten Gefühlen auseinandersetzen. Dadurch kontrastiert Chambers immer wieder unterschiedliche kulturelle Werteinstellungen, Rollenerwartungen und politische Systeme. Das ist brilliant skizziert, denn der Roman rutscht niemals ins Pädagogische ab. Stattdessen zeichnet er ein zurückhaltendes und sparsames Bild einer gleichzeitig fesselnden und ausufernden Vielfalt. Dabei steht immer der positive Aspekt des aktive gestaltenden Zusammenlebens auf engem Raum der Wayfarer trotz eklatanter Unterschiede in der Lebenswelt im Mittelpunkt. Die politischen und sozialen Strukturen dahinter werden immer erst in den einzelnen Charakterepisoden in kleinen Portionen in die Handlung eingewoben.

Die titelgebende Reise tritt dadurch (bis zu dem dramatischen Ende) in den Hintergrund und sorgt lediglich dafür, dass die Emotionen auf der Wayfarer in guten und schlechten Situationen hochkochen. Für den Leser bietet „the long way“ dadurch einen unaufgeregtes und dennoch spannendes, nachdenkliches und unterhaltsames Panorama über die Höhen und Tiefen des Zusammenlebens trotz großer Unterschiede. Das kommt weitestgehend ohne Klischees aus, ist beeindruckend, oft berührend und macht es schwer, dieses Buch aus der Hand zu legen.

Add a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert