Alamut (von Vladimir Bartol)

alamutDer Iran im Jahr 1092: Der Islam spaltet sich mehr und mehr in unterschiedliche Lager. Sunniten und Schiiten gehen eigene Wege und ringen um die Vormachtstellung, es kommt zu innerkonfessionellen Konflikten. In dieser Situation erreicht ibn Tahir die Festung Alamut. Hier soll er auf Wunsch seines Vaters im Dienste des Ismailis Führers Hassan-i Sabbah seinen Großvater rächen, der als lokaler Ismaili Führer einst von den Soldaten des Sultans hingerichtet wurde. Ibn Tahir wird als Schüler für die Elitetruppe Sabbahs aufgenommen. Die Zeichen stehen auf Sturm: Der Sultan hat die schiitischen Ismailis bisher geduldet, doch aufgrund eines Machtkampfes entsendet er ein Heer von 30.000 Soldaten auf die gerade einmal mit wenigen hundert Kämpfern besetzte Festung. Doch Sabbah hat einen irrwitzigen Plan: Mit einem versteckten Harem, in dem unter anderem die junge Halima lebt, möchte er seinen treuesten Soldaten vorspielen, dass er tatsächlich von Allah den Schlüssel zum Paradies erhalten habe und sie dadurch zu fanatischen Höchstleistungen antreiben.

Der 1938 erschienene Roman „Alamut“ wirkt wie ein zeitgenössischer historischer Roman. Die Geschichte des frühen Islams in Verbindung mit realistisch beschriebener Machtpolitik des Jahres 1092 und einer beeindruckenden Fanatismus Darstellung vermengen sich zu einem überzeugenden Panorama gegen extremistische Überzeugungen jeder Art. Die von Bartol gewählte Zeit, in der verschiedene muslimische Strömungen um Einfluss kämpfen, ist ausgesprochen faszinierend, da sie in westlichen Bildungssystemen kaum Beachtung findet. Bartol zeichnet bereits in den ersten Kapiteln ein überzeugendes Panorama der politischen Situation. Nachdem die ersten 50 Seiten die staunende Ankunft Halimas und ibn Tahirs in Alamut beschreiben, folgen im Anschluss ausschweifende Unterhaltungen zwischen Sabbah und seinen Anhängern über die derzeitige politische Lage und den Zustand des Konfliktes. Das ist spannend zu lesen und scheint, so gut es ging, auf den historischen Erkenntnissen des Jahres 1938 zu basieren. Gleichzeitig ist dieser Stil jedoch relativ langatmig: Der Großteil des Romans besteht nämlich aus Unterhaltungen zwischen Sabbah und diversen seiner Anhänger.

Bartol versteht es jedoch diese Unterhaltungen geschickt zu konstruieren. Der Leser erfährt zwar ständig eine Fülle neuer Informationen, doch die wahren Beweggründe Sabbahs werden erst Stück für Stück und durch die Rekonstruktion mehrerer Unterhaltungen deutlich. Der Kern seines Plans ist die Schaffung absolut loyaler und äußerst fanatischer Krieger. Dafür trainiert er seine Elite-Einheit. Außerdem arbeitet er an der Verwirklichung eines irrwitzigen Plans: Hinter der uneinnehmbaren Festung Alamut versteckt er eine große Gartenanlage mit einem beachtlichen Harem. Hierhin entführt er ausgewählte Kadetten nach der Ankündigung, er werde ihnen beweisen den Schlüssel für das Paradies zu haben. In der Folge erweckt er tatsächlich grenzenlosen Fanatismus in den jungen Männern, die hier zum ersten Mal Geschlechtsverkehr haben. Die daraus entstehende Hingabe nutzt Sabbah mit grenzenloser Grausamkeit für seine Zwecke aus.

In diesem Moment werden aus Sabbahs religiöser Sekte die Anfänge der Assassinen: Fanatischen Einzeltätern gelingt es unter Hingabe ihres Leben Angst und Chaos unter den mächtigen der islamischen Welt zu sähen. Sabbah verfügt über einen immer größer werdenden Stamm einsetzbarer Attentäter und mit jedem erfolgreichen Attentat wächst die Schar seiner Anhänger. Bartols Warnung vor den manipulierenden Methoden extremistischer Sekten, die erschreckende Schlichtheit, die hinter ihren Heilsversprechen liegt (das eigentliche Motto Sabbahs ist „nichts ist absolut real, alles ist erlaubt“) und das grausame Ende der gläubigen jungen Männer (und einiger Harembewohner) ist heute im Angesicht islamistischer Bewegungen von ähnlich großer Aktualität wie 1938 im Angesicht faschistischer Bewegungen.

Dazu zeigt Bartol damit, dass die vermeintlich stärkere militärische Kraft angesichts ideologisch motivierter Gegner keineswegs automatisch siegen wird. Gleichzeitig verdeutlicht er aber auch, dass es an mehreren Stellen Individuen gibt, die die Fanatiker stoppen könnten. Auch in Alamut wissen mehr Offiziere als nur Sabbahs engster Führungskreis von seinem Täuschungsspiel. Aber aus verschiedenen Gründen halten sie die Wahrheit vor den Kadetten verborgen. Dieses Verhaltensmuster in Verbindung mit Sabbahs mit jedem Gespräch philosophischer werdenden Begründungen geben viel Stoff zum Nachdenken. Das ist vor allem der Fall, da sich Bartol durchweg eines moralischen Urteils über Sabbahs Handeln verweigert und dessen Motivation so ausführlich durch Sabbah selbst beschreiben lässt, dass man an vielen Stellen erschreckt mit dem alternden Ismaili Fürsten sympathisiert.

Obwohl „Alamut“ an einigen Stellen etwas holprig und gemächlich wirkt, entfaltet der Roman in der zweiten Hälfte eine äußerst spannende Sogwirkung, die im Jahr 1092 anhand des Aufstiegs der islamischen Assassinen die Gefahr und die Faszination des Fanatismus erschreckend deutlich veranschaulicht. Das Buch diente als Vorlage für die erfolgreiche Videospielreihe „Assassin’s Creed“ kann aber genau so gut als Vorlage für ein besseres Verständnis des zerstörerischen Potenzials kleiner aber extremistischer Sekten für Individuen und Gesellschaften dienen.

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