Risiko (von Steffen Kopetzky)

1330_01_Kopetzki_Risiko.inddSebastian Stichnote ist Funker auf der SMS Breslau. Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs liegt das Schiff vor Albanien, um den dortigen König zu unterstützen. Mit Ausbruch des Krieges beginnt für Stichnote eine abenteuerliche Reise. Durch seine Begabung in einem strategischen Kriegsspiel wird er für die Afghanistan-Mission des Deutschen Reiches ausgewählt. Die Mission soll den Emir von Afghanistan und die Paschtunen-Stämme dazu bewegen, die Briten in Indien anzugreifen. Doch von Albanien bis nach Afghanistan ist es ein langer und abenteuerlicher Weg.

„Risiko“ besticht in erster Linie durch die gelungene Darstellung historischer Ereignisse im Rahmen einer flüssigen und spannenden Handlung. Die deutschen Einmischungen in Albanien, die ersten Kriegshandlungen zur See, die Gesellschaft und Politik des Osmanischen Reiches und vor allem die Großwetterlage auf der Arabischen Halbinsel und in Vorderasien – all das greift Risiko aus den Augen des jungen Funkers Stichnote auf. Das ist auf der einen Seite eine Tour de Force: Der Roman hat über 700 Seiten und nur ein Bruchteil davon spielt im entscheidenden Afghanistan. Doch die geradezu spielerische Verknüpfung der brutalen Mikroebene des Ersten Weltkriegs einzelner Soldaten wie Stichnote mit der rational-sachlichen Makroebene des Generalstabs entfaltet eine faszinierende Sogwirkung, die den Roman lesenswert macht.

Faszinierend sind auch die permanenten Referenzen an eine untergegangene Welt. Die Darstellung der osmanischen, arabischen und afghanischen Gesellschaft sind beeindruckend detailliert und eindringlich. Dass die Handlung abseits der Hauptfronten spielt, erhöht die Wirkung des Romans. Hier erkennt man, dass der Erste Weltkrieg tatsächlich auch außerhalb Europas seine Dynamik entfaltete und Gesellschaften in den Ruin trieb. Die deutsche Mission hat sich zum Ziel gesetzt, einen heiligen Dschihad gegen die Briten anzuzetteln. Mit diesem politischen Anliegen zieht der Roman implizit immer auch Parallelen in unsere Zeit. Man kommt nicht umhin, die Darstellung der untergegangenen Macht- und Sozialverhältnisse mit den heutigen Ereignissen in der Region zu vergleichen. Allein dieser kulturell-geschichtliche Aspekt des Romans, die beim Leser begeistertes Staunen über jeden Handlungswechsel auslöst, macht die Lektüre lohnenswert.

Noch überzeugender ist der „Held“ des Romans. Stichnote ist ein einfacher Funker aus ärmlichen Verhältnissen. Gleich zu Beginn des Romans verliebt er sich. Zunächst scheint es sich um eine unschuldige und vor allem flüchtige Affäre in Albanien zu handeln. Tatsächlich spielt die Liebe im Roman keine direkte Rolle und ist doch der Antrieb für jede einzelne Tat Stichnotes. Diesem wird viel abgefordert: Nachdem er von einem Offizier als Spielkamerad entdeckt wurde, endet er in der entbehrungsreichen Afghanistan-Mission. Diese ist nicht nur anstrengend, sondern treibt Stichnote aufgrund von Zahnbeschwerden auch in die Drogensucht und den Drogenwahn. Die Reise ist daher für Stichnote eine große charakterliche Herausforderung. Dabei begegnen ihm und seinen Begleitern immer wieder Menschen, deren Menschlichkeit das unwahrscheinliche Überleben der Reisegruppe garantiert. Gejagt von den Briten und den Russen, am Ende ihrer Kräfte steht Stichnote am Ende vor einer grausamen Situation, die eine grausame Entscheidung verlangt. Diese Heldenreise ist beeindruckt und schafft mit Stichnote einen grandiosen naiv-menschlichen Charakter.

Die Afghanistan-Mission gab es tatsächlich. Nach 700 realistischen Seiten mit hartem Ton und beeindruckend rationalen und dennoch emotional-eindringlichen Beschreibungen einzelner historisch verbürgter Weltkriegsmomente dreht er den Ausgang der Mission überraschend um. Eine Entscheidung Stichnotes macht ihn zum Geächteten und kehrt den uns bekannten Ausgang des Ersten Weltkriegs völlig um. Trotz der erschlagenden historischen Kräfte, die vor und während des Ersten Weltkrieges am Werk waren, ist Kapertzkys Werk damit ein beeindruckendes Plädoyer wie viel ein einzelnes Individuum in einem einzelnen Moment und sei es nur aus durch Liebe motivierter Rache, ausmachen kann. Dieser Abschluss dieses gelungenen Romans wirkt noch lange nach.

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