Démocratiser l’Europe (von Antoine Vauchez)

116171_couverture_hres_0(dt. „Europa demokratisieren“)

Mit jeder Vertragsänderung der Europäischen Union (EU) wurde die Macht des Europäischen Parlamentes gestärkt. Dennoch verklingt der Ruf nach mehr Demokratie in Europe nicht und immer mehr Bürger haben das Gefühl, innerhalb der Union keine Stimme mehr zu haben. Antoine Vauchez plädiert mit „Démocratiser l’Europe“ den Fokus der Demokratisierung auf eine bisher außer acht gelassenen Gruppe an Institutionen zu richten: Den unabhängigen Institutionen.

Die EU ist um unabhängige Institutionen errichtet. Bereits die Idee der Europäischen Kommission war es, eine unabhängig von den Interessen der Mitgliedsstaaten agierende Behörde zu schaffen, die europäischen Politikvorschläge ausarbeiten und in einigen Fällen auch umsetzen kann. Von Anfang gehörte auch ein unabhängig agierendes Gericht (der EuGH) dazu, das sich über die Jahrzehnte einige Kompetenzen durch die Interpretation der Verträge erarbeitet hat. Mittlerweile arbeiten auch mehr als 40 unabhängige Agenturen sowie die – angelehnt an die deutsche Bundesbank – sehr unabhängig agierende Europäische Zentralbank (EZB) im Umfeld der EU. Allen Institutionen ist gemein, dass sie verständlicherweise großen Wert auf ihre Unabhängigkeit legen und ihr Handeln durch eine Expertenlogik, also die Fokussierung auf (vermeintlich) wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten zu legitimieren versuchen. Bis auf die Kommission ist es für das Europäische Parlament sehr schwierig, diese Institutionen zu beeinflussen (und für die Mitgliedsstaaten mit Ausnahme ihres einen Vertreters in jeder Institution und ihre Kontrollmöglichkeiten im Rat der Europäischen Union ebenfalls).

Auch in den Mitgliedsstaaten der EU gibt es unabhängige Institutionen und vor allem unabhängige Gerichte. Doch während die meisten Politiken in den Staaten von Parlamenten und ihren Exekutiven gemacht werden, ist das in der EU nicht unbedingt der Fall. Gerade in der Finanzkrise ist es die EZB, die Entscheidungen fällt. In anderen Fällen wird die europäische Integration erst durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof vorangetrieben. Ist das ein Problem? Wenn es nach reiner Expertenlogik im Rahmen der Verträge ginge vielleicht nicht unbedingt. Doch Vauchez zeigt knapp und überzeugend auf, an welchen Punkten die Entscheidungen der EZB und des EuGH eine politische Dimension haben. Im Vordergrund steht dabei, dass die marktliberalen Grundsätze der EU-Verträge über die EZB und vor allem die Auslegungen des EuGH immer mehr in die Verfassungen (und hierbei vor allem das Arbeitsrecht) der Mitgliedsstaaten eindringen. Unabhängige Situationen sind nicht immer unpolitische Institutionen.

Vauchez plädiert daher dafür, dass diese Institutionen repräsentativer besetzt werden müssen. Bereits jetzt sind sie repräsentativ, in der Regel ist jeder Mitgliedsstaat mit einem Vertreter, Richter, Bankdirektor etc. vertreten. Das könnte verändert werden, um diversere europäische Gruppen (auf Kosten der Mitgliedsstaatrepräsentation) zu vertreten. In Verbindung mit der dadurch entstehenden stärkeren öffentlichen Debatte über politische Themen könnte damit ein höherer Demokratisierungsgrad entstehen.

Vauchez gelingt es überzeugend zu argumentieren, warum veränderte Repräsentationsprinzipien die „Integration by Stealth“ durch Recht und unabhängige Institutionen etwas demokratisieren könnten. Allerdings gibt er verständlicherweise keine Angaben darüber, welche Repräsentanz denn wünschenswert wäre. Das müsste schließlich eine demokratische und politische Debatte sein. Nur: In welchem Forum sollte die ausgetragen werden? Diese Änderung könnte nur mit Vertrags- (bzw. bei den EU Agenturen) Regulierungsänderungen durch alle Mitgliedsstaaten erfolgen. Auf welche Repräsentation soll man sich dabei einigen?

Und : Mit welchen Mechanismen könnten Konflikte in diesen Institutionen ausgetragen werden können? Oder anders gesagt, wie kann Handlungsfähigkeit angesichts diverser Besetzungen innerhalb der Institutionen garantiert werden? Und wie kann die Repräsentation ausreichend flexibel bleiben, um tatsächlich in irgendeiner Form ein zufriedenstellendes Abbild der Europäischen Gesellschaft zu bieten? Und wie können die daraus entstehenden Diskussionen diese Gesellschaft auch tatsächlich erreichen?

Vauchez‘ Beitrag weist also auf ein wichtiges Feld innerhalb der Demokratisierungsdiskussion der EU hin. Generell ist die Frage, wie die expokratische und legalistische Natur der EU demokratisiert und vor allem trotz ihrer Beiträge zur Integration stärkerer öffentlicher Kontrolle unterstellt werden kann. Sein Lösungsvorschlag wirft viele Fragen auf. Sein Abriss über die Stärke und zentrale Position unabhängiger innerhalb der EU verleitet hoffentlich ausreichend Forscher, Antworten auf diese Fragen zu finden.

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