Gedankensplitter 39/2016

Kompromiss oder Feigheit: In der vergangenen Woche verdichteten sich die Meldungen, dass sich die Union und die SPD auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt einigen wollen. Zuvor waren auch eine rot-rot-grüne bzw. eine schwarz-grüne Lösung im Gespräch. Selbst linke Politiker wie der thüringische Ministerpräsident Ramelow sehen darin Chancen: Der Spiegel zitiert, Ramelow befürworte angesichts der AfD-Stärke einen Kandidaten, mit breiter Ausstrahlungskraft. Das klingt erst einmal gut. Andererseits birgt solch ein Kompromiss die Gefahr, bei der Wahl eine Spaltung zwischen demokratischen und populistischen Kräften zu erzeugen. Warum nutzt man nicht die (noch) vorhandenen demokratischen Mehrheiten, um tatsächlich so etwas wie ein Signal für die kommende Bundestagswahl zu setzen – sei es ein schwarz-grünes oder ein rot-rot-grünes. Das würde inhaltliche Debatten und klare Parteistrategien voraussetzen. Beides könnte dazu beitragen, dass mehr über Politik und weniger über die AfD diskutiert wird.

Die Mehrheit im Volk: Obwohl die AfD einen Wahlerfolg nach dem anderen feiert, sollte man nicht vergessen, dass die Partei längst nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich weiß. Ihr gelingt es, in ungeahntem Maße Nichtwähler zu mobilisieren, was für die Demokratie nicht unbedingt schlecht ist. Gleichzeitig kann sie einige unzufriedene Wähler etablierterer Parteien abwerben. Die Mehrheit in Deutschland sehnt sich jedoch nach pragmatischen und gleichzeitig konsequenten Parteien. In den jüngsten Landtagswahlen setzte sich die Partei durch, die das kohärenteste und gleichzeitig pragmatischste Integrationsprogramm hatte (in der Regel war das die jeweilige Regierungspartei). Gefährlich ist es, den Parolen der rechten Werber hinterher zu laufen. Das sorgt nämlich allenfalls dafür, dass skeptische Wähler das Original wählen. Die Mehrheit im von der AfD so oft beschworenen Volk findet sich darin jedoch nicht wieder. Die bei der Bundestagswahl 2017 erfolgreiche demokratische Partei wird diese Mehrheit mit einem ideologisch kohärenten und gleichzeitig pragmatisch-klaren Programm ansprechen müssen.

Ende der Gedankensplitter: Seit beinahe einem Jahr schreibe ich an dieser Stelle wöchentlich Kurzkommentare. Mit dieser Ausgabe endet dieses Blogexperiment. Das liegt in erster Linie daran, dass selten die Zeit bleibt, Themen konsequent zu sammeln und die Kommentare zu verdichten. In der Regel erscheinen hier am jeweiligen Sonntag gesammelte Themen in ihrem ersten Entwurf. Eine überzeugende Reihe, mit der ich zufrieden wäre, würde auf im Verlauf der Woche gesammelten Themen beruhen, die zudem mit mehr Zeitaufwand pointiert geschrieben würden. Zudem drehen sich viele Gedankensplitter über dieselben Themen, ohne das die Kommentare konsequent aufeinander aufbauen. Dies ist unbefriedigend und die Gedankenecke wird sich daher erst einmal wieder ausschließlich auf Rezensionen beschränken. Aber wer weiß, vielleicht finde ich demnächst die Zeit bzw. die Kreativität für ein anderes Kommentarformat, das meinen Ansprüchen genügt. Bis dahin, vielen Dank für jeden gelesenen Gedankensplitter!

Nachtrag – Journalistische Abgründe: Das öffentliche Image des Journalismus in Deutschland ist schlecht. Angeblich folgt die „Lügenpresse“ blind den Vorgaben der Mächtigen. Tatsächlich gibt es einen Qualitätsverlust im Journalismus. Klassische Standards wie den Inhalt zusammenfassende Teaser sind längst aufgegeben. Stattdessen dienen Teaser mittlerweile auch in Qualitätsmedien einzig und allein dazu, den Leser auf den Text zu locken („was dann passierte, wird Sie überraschen“). Das Internet, die damit verbundene Gratiskultur und der Druck immer mehr Content für immer weniger Geld zu produzieren, hat journalistische Qualität weiter erodieren lassen. Ein neuer Tiefpunkt ist ein Text auf Stern.de. Hier erzählt der Koch eines Kreuzfahrtschiffes der TUI-Gesellschaft über seine Arbeit. Der Artikel ist ungewöhnlich euphemistisch. In keinem Wort erwähnt der Stern, dass es sich hierbei um eine Firmenanzeige handelt. Der Text selbst ist jedoch aus einem Buch entnommen, dass Tui über seine Kreuzfahrtschiffe in Auftrag gegeben hat (erhältlich im TUI-Shop wie man am Ende des Text erfährt). Unabhängigkeit sieht anders aus. Kritische Beobachter des Journalismus sollten sich weniger über journalistische Abhängigkeit gegenüber der Regierung Gedanken machen, sondern über die kritischen Produktionsbedingungen, die die feine LInie zwischen Werbung und Journalismus gefährden.

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