Austerity – The History of a Dangerous Idea

blyth AusterityAusteritätspolitik ist nach Blyth die (grob übersetzt) freiwillige Deflation einer Volkswirtschaft, die versucht, durch das Absenken von Löhnen, Warenwerten und Staatsausgaben Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen und das in der Regel durch das Kürzen von Staatshaushalten, -schulden und -defiziten erreichen möchte (2). Seit Jahrzehnten wird von exzessiver Verschuldung und einem überbordenden Wohlfahrtsstaat gesprochen, doch erst seit der weltweiten Finanzkrise, nehmen diese Diskurse zumindest in Krisenländern auch überbordende Ausmaße an. Blyth These ist, dass Austeritätspolitik eine gefährliche Idee ist (das verrät bereits der Untertitel). Das bedeutet, dass Blyth Sinn und Zweck dieser Kürzungspolitik bezweifelt.

Das stellt die europäische Politik der vergangenen sechs Jahre in ein äußerst schlechtes Licht. Denn die vielen Kürzungen werden schließlich mit dem Versprechen umgesetzt, dass im Anschluss das Wirtschaftswachstum wieder anziehen wird und es der Volkswirtschaft im Anschluss besser gehen wird als zuvor. Um dieses Argument zu zerlegen, erläutert Blyth zunächst, warum Austerität notwendig gewesen ist: Kleinteilig erläutert er, wie Bankenexzesse zustande gekommen sind und warum genau so exzessive Rettungsprogramme notwendig waren, um das System zu stabilisieren. Um die Vertrauenskrise der gerade geretteten Finanzmärkte in die durch die Rettung entstandenen Staatsdefizite einzudämmen, griffen europäische Staatenlenker zu Austeritätspolitiken. In der Folge wurde zwar die Vertrauenskrise gelöst, doch weder das Wirtschaftswachstum noch die Situation der Bevölkerung hat sich verbessert – im Gegenteil: beides hat sich massiv verschlechtert. Blyth geht daher der Frage nach, warum überhaupt die Austeritätsoption gezogen wurde. Dies untersucht er in zwei Schritten. Erst legt er die intellektuelle Entwicklung der Austeritätsidee von den Gründungsvätern des ökonomischen Denkens wie Smith, Hume und Ricardo bis in unsere Zeit dar. Dabei zeigt er auf, wie dieses Idee vor allem in deutschen, ordoliberalen Institutionen und einigen Wirtschaftsinstituten, den „langen Winter“ keynsianischer Dominanz überstehen konnte. Im Anschluss untersucht er die empirische Geschichte der Austeritätspolitik und stellt fest, dass es in fast keinem Fall eine Korrelation zwischen Sparpolitik und anschließendem Wirtschaftswachstum gibt bzw. dass es in den Fällen, in denen man dies findet, viel leichter auf andere oder exogene Faktoren zurückzuführen ist. In allen Fällen steigt durch Austerstitätspolitik jedoch die soziale Ungleichheit und gleichzeitig hängt jede nachfolgende wirtschaftliche Erholung auch davon ab, dass andere Staaten weiterhin gewillt sind, Ausgaben zu tätigen. Trotz dieser negativen Erfahrungen setzt sich Austeritätspolitik immer wieder durch. Blyth sieht dies als Zeichen, wie eine zwar empirisch falsche, aber einfach argumentierte und inhaltlich kohärente intellektuelle Idee, gefährliche Auswirkungen haben kann. Außerdem arbeitet er in einem der Taschenbuchausgabe hinzugefügtem Nachwort die klassenspezifischen Dimensionen der Austeritätspolitik heraus. In seinen Augen muss man sich Bail-Outs (grob übersetzt) als „klassenspezifische Put-Option vorstellen, die von den Top 30% der Einkommensverteilung auf die unteren 70% ausgeübt wird. Wenn die oberen 30%, Leute wie ich (und möglicherweise) Sie als Leser, bekommen ihre Anlagen durch staatliche Rettungsschirme gesichert und die Staatsschulden explorideren in der Folge; die Kosten für diese Put-Option werden jedoch von den Menschen getragen, die nicht über Wertanlagen verfügen, sondern auf Staatsausgaben und öffentliche Güter angewiesen sind, und das wird gekürzt“ (259).

Blyth Werk hat drei große Vorzüge. Zunächst einmal erklärt es die Bankmechanismen, die zur Finanzkrise 2008 führten, auf einfache und anschauliche Art und Weise. Der Leser erhält dadurch einen guten Überblick über eine Ursache der Krise. Zweitens ist die intellektuelle Geschichte der Austeritätspolitik knapp, präzise und genau so eingängig formuliert. Zulezt bietet der letzte Abschnitt über die empirische Evidenz für Kürzungspolitiken eine tour de force über die verschiedenen Anweldungsfelder dieser „gefährlichen Idee“. Im Anschluss an die Lektüre hat man einen sehr guten Überblick über die verschiedenen Aspekte dieses Politikstils, über dessen katastrophale Auswirkungen und die Tatsache, dass ganz andere Faktoren eine Volkswirtschaft wieder auf Wachstumskurs bringen. Die Botschaft, dass Kürzungspolitik eine schreiende Ungerechtigkeit ist, zu der es durchaus Alternativen gibt, die aber gegen die Interessen mächtiger Einflussgruppen arbeiten, durchzieht das ganze Buch.

Leider leidet ausgerechnet der empirische Teil des Buches etwas unter dem großen Fokus auf die Erklärung der derzeitigen Finanzkrise. Blyth verwendet viele Quellen, alle seine Argumente sind nachprüfbar. Im Buch wird vieles jedoch schlicht postuliert. Der Leser ist daher darauf angewiesen, Blyth zu vertrauen oder sich auf ein umfangreiches Quellenstudium zu begeben. Hier hätte es geholfen, wenn man sich neben dem historischen Abriss noch stärker auf einige wenige Fälle beschränkt hätte. Außerdem rechnet der Autor mit einer sympathisierenden Leserschaft. Ein Beispiel: Würde ich Staatsschulden für ein großes Übel halten bzw. generell die Top 30% der Einkommensträger für die wahren Leistungsträger so würde ich auf die oben zitierte Textstelle darauf verweisen, dass die Oberen 30% ja vermutlich mehr Steuern zahlen und ohne sie das System, auf dem die unteren 70% angewiesen sind sowieso zusammenbrechen würde. Dafür gibt es Gegenargumente (z.B. dass ein Großteil des Steueraufkommens immer noch durch die Versteuerung von Löhnen nicht aber von Kapitalanlagen bzw. Vermögen rührt). Doch Blyth diskutiert diese nur selten. Häufig ist das Buch daher nicht dafür geeignet, Anhänger dieser gefährlichen Idee davon abzubringen.

Alles in allem ist „Austerity“ aber ein überzeugender Abriss über die Geschichte des Austeritätsgedankens und des komplexen und fatalen Zusammenspiels dieser Idee mit der internationalen Finanzkrise. Dank Blyths persönlichen Prolog und seines ständigen Bezugs auf die Millionen Menschen, die auf Staatsförderung in ihrem Bildungs- und Lebensweg angewiesen sind und die diese Lebenswege durch die europäische Austeritätspolitik der letzten sechs Jahre nun unter deutlich erschwerten Bedingungen antreten müssen, ist es trotz der vielen Finanzfakten immer auch eine emotionale und bewegende Lektüre.

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