Gedankensplitter 25/2016

Drohen und Lügen – die Brexit-Debatte: Am Donnerstag stimmt das Vereinigte Königreich über den Verbleib in der Europäischen Union ab. Das Referendum ist ein Armutszeugnis für den britischen Premier Cameron, der in einer Mischung aus innerparteilichen Schwäche und Angst vor der UKIP dieses Referendum zunächst ankündigte und anschließend vorzog, im Anschluss aber versäumte seine Partei oder wenigstens die „Remain“-Kampagne anständig auf das Referendum vorzubereiten. Die Debatte nimmt daher skurrile Züge an: Weitestgehend wird der Widerspruch innerhalb der konservativen Partei wahrgenommen, in dem die eine Seite um den ehemaligen Bürgermeister Londons, Boris Johnsons, gerne direkt zu Unwahrheiten greift (s. Immigration) und die andere Seite um Premier Cameron immer häufiger simple Drohungen ausspricht. Die Labour-Kampagne, die durchaus auch die nicht-ökonomischen positiven Aspekte der Unionsmitgliedschaft, wie z.B. soziale Mindeststandards, hervorhebt, kann dagegen kaum durchdringen. Alles in allem ist der Diskussionsstil so hart, dass auch dieses Referendum, wie das schottische Referendum 2014 keine Versöhnung, sondern vermutlich noch stärkere Spaltungen zur Folge haben wird. Damit verspielt das Königreich noch einmal in einem wichtigen und wegweisenden Themenfeld wertvolles soziales Kapitel anstatt sich auf sachliche Diskussionen und geordnete Verfahren im Rahmen ihrer parlamentarischen Tradition zu besinnen. Egal wie das Referendum am Donnerstag ausgeht, das Königreich wird dadurch im Anschluss nicht zur Ruhe kommen. Die Frage ist nur, ob die Turbulenzen auch den Rest des Kontinents treffen oder nicht.

Wo sind die politischen Diskussionen: Durch das Internet können Nachrichten und vor allem Standpunkte so einfach verbreitet werden wie noch nie zuvor. Und doch beschleicht viele Menschen das Gefühl, dass die Qualitätspresse unter dieser Entwicklung gelitten hat. Das trifft nicht nur auf die Vertreter der „Lügenpresse“-Vorwürfe, sondern auch auf diejenigen, die sich über immer mehr, um einige Tweets konzentrierte Artikel wundern. Das Erregungslevel ist dadurch deutlich abgesunken, ein Fest für populistische Parteien wie die AfD, die in der deutschen Internetpresse eine bereitwillige Bühne finden. Heiko Maas hat in dieser Woche in der Zeit einen Artikel über die Streitkultur im Lande veröffentlicht. Er wünscht sich wieder mehr Diskussionen über relevante, politische Themen und damit weniger Platz für plumpe Erregung à la „den möchte ich nicht zum Nachbarn haben“. Soziale Ungleichheit, Arbeitsbedingungen und Lebensbedingungen seien viel wichtiger als die diese Themen ständig überdeckenden Erregungsmomente mit rassistischen Untertönen. Die „Schuld“ an der verflachenden Debatte tragen teilweise freilich die von Maas benannten Medien, die sich aufgrund des Lügenpresse Vorwurfes genötigt fühlen, jedem Windhauch der AfD ein Forum zu bieten. Wichtig ist aber auch, dass sich die politischen Parteien wieder auf Inhalte, Debatten und vor allem solide Konzepte konzentrieren. In dieser Situation hilft es nicht, dass Sigmar Gabriel der CDU bescheinigt, nicht rechts genug zu sein. Im Umkehrschluss bedeutet das für den Großkoalitionär Gabriel ja, dass er lieber mit einer rechteren Partei zusammenarbeiten würde. Sein Vorwurf ist also paradox und sinnfrei, er hätte sich lieber auf die Vermarktung eines guten, überzeugenden und vor allem sozialdemokratischen Konzepts in Abgrenzung zu der derzeit plan- und konzeptlosen CDU profiliert. Mit etwas Glück legt Heiko Maas seinen Artikel seinem Parteivorsitzenden und Vize-Bundeskanzler mal zur Lektüre vor.

Die Lücken der Mitbestimmung: Zum Themenfeld wichtiger Diskussionen gehört die betriebliche Mitbestimmung, die Möglichkeit von Arbeitnehmern auf ihren Betrieb Einfluss zu nehmen. Es ist verständlich, dass Arbeitgeber dies nicht besonders gerne sehen. In Hamburg hat jüngst eine Softwareschmiede Mitarbeiter entlassen, die einen Betriebsrat forderten. Bei einer Alnatura-Filliale in Bremen hat das Unternehmen laut der Gewerkschaft Ver.Di mit fadenscheinigen (und vielleicht, ein Gericht prüft dies gerade auch unlauteren) Mitteln die Alnatura betriebsrat bremenverhindert. Ein Arbeitsgericht hat nun einen Wahlausschuss für die Betriebsratswahl eingesetzt, das Unternehmen protestiert dagegen: Die in Teilzeit beschäftigte Wortführerin sei zum Einsetzen des Wahlausschusses gar nicht mehr im Unternehmen – man werde ihren Vertrag nämlich nicht mehr verlängern. Diese Aktionen mögen legal sein, sie zeigen aber, dass Teile der angeblich so liberalen und offenen IT-Branche und auch die angeblich noch liberalere und vor allem sozialeren Bio-Branche (und hier ist Alnatura nun wirklich ein Flaggschiff) im Zweifelsfalls Arbeitnehmerrechten aus dem Weg gehen. Es ist beruhigend, dass in Bremen vor allem Parteimitglieder der Grünen gegen die Alnatura-Praktiken aufbegehren: Auch die Grüne-Bewegung sollte das Wohl von Arbeitnehmern mindestens so wert schätzen wie die biologische Erzeugung von Mitarbeitern. Alnatura wünscht sich „kreativere“, also weniger machtvolle Formen der Mitbestimmung. Für bewusste Verbraucher sollte dies ein Anlass zu sein, vermehrt bei unabhängigen Biomärkten einzukaufen und dem Platzhirsch zu zeigen, dass hinter seiner Weltverbesserungsrhetorik auch anständiges Wirtschaften herrschen muss. Für politische Parteien gilt zu prüfen, ob die beiden Vorfälle strukturelle Lücken im Mitbestimmungsrecht sind, die geschlossen bzw. im Falle überführter Übertritte von Seiten der Unternehmen härter sanktioniert werden müssen.

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