Gedankensplitter 24/2016

Vorhersehbarer Umfrageschock: In der vergangenen Woche „überrascht“ das Umfrageinstitut Forsa mit einer schlechten Bayern-Umfrage für die CSU. Mit 40% würde die Partei acht Prozentpunkte verlieren und weit von einer absoluten Mehrheit entfernt sein – trotz eines seit Monaten andauernden „Amoklaufs“ ihres Parteivorsitzenden gegen die eigene Bundesregierung. Was einiger verwundert, ist nur folgerichtig: Die Bayern und vor allem AfD-Sympathisanten mögen mit Seehofers Rhetorik übereinstimmen, können sich dann aber nicht mit dem Regierungshandeln der CSU anfreunden. Denn die deutsche Wählerschaft ist klug genug, um zu wissen, dass Seehofers CSU den Regierungskurs bisher zumindest nicht gestoppt hat. Im Gegenteil, sie ist mitschuldig, dass der Kurs gehalten wird, aber nicht mit angemessenen, lösungsorientierten Programmen begleitet wird. In Zukunft durch mangelhafte Integrationsprobleme auftretende Probleme dürften daher um so mehr der CSU und ihrer schizophrenen Verweigerungshaltung angelastet werden.

Sozialdemokratische Kommunikationsdesaster: Die Sozialdemokratie könnte von der Unruhe innerhalb der Union profitieren. Das Regierungshandeln wird weitestgehend von ihrem Parteiprogramm geleitet und anders als die Union hat man zumindest inhaltlich wenig Streitpunkte. Dennoch weisen Umfragen für die SPD seit Monaten vor allem sinkende Zustimmungswerte aus. Ein zentraler Grund dafür ist die mangelnde Strategiefähigkeit und Kommunikationsfähigkeit der Sozialdemokraten. Am vergangenen Sonntag traf sich die Partei zu ihrem Parteikonvent, einem kleinen Parteitag. Im Anschluss gelang es nicht, eigene Positionen in einem überregionalen Online-Medium prominent zu platzieren – verschenkte Zeit. Darüber hinaus stieß Sigmar Gabriel im Anschluss ein weitere Solidaritätsprojekt an. Man kann mittlerweile kaum zählen, wie viele Projekte, vom Fortschritts- bis zum Inklusionsprogramm der Sozialdemokratie, Gabriel mittlerweile als Parteivorsitzender angestoßen hat. Nur: Er bringt keines von ihnen zu Ende, unterfüttert keines mit einem glaubwürdigen, praktischen Parteiprogramm und vor allem kann kein einziges in der Öffentlichkeit überzeugend verkaufen. Die Kommunikationsdesaster innerhalb der SPD gehen mittlerweile so weit, dass der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Oppermann einen von der SPD unterstützten CDU-Bundespräsidenten ausschließt, nur um wenige Tage später wieder von Parteichef Gabriel Widerspruch zu erhalten. Wenn man über solch simple, weil offensichtliche politische Fragen im Hinblick auf eine inhaltlich eigentlich nicht zerstrittene Partei kein gemeinsames Vorgehen vereinbaren kann, dann wird es im Wahlkampf nicht gelingen, eine Einheit von Programm, Partei und Kandidat überzeugend zu kommunizieren. Da die SPD sich zudem erst im Mai 2017 auf einen Kandidaten einigen möchte, erscheint es unwahrscheinlich, dass irgendjemand die Partei und ihren sprunghaften Vorsitzenden aus ihrem Kommunikationsdesaster befreit. Dadurch bestehen wenig Chancen, dass es der einstigen Sozialpartei gelingen wird, im Wahlkampf 2017 populistischen Themen fundierte Debatten über Soziale Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhang entgegenzusetzen. Das ist keine schöne Vorstellung.

Schlafende Zustimmung: Zwei spektakuläre Urteile zu Verwaltigungen durchziehen gerade die Medien. In den USA wird ein einstiger Stanford-Student, dem vorgeworfen wird, eine junge, durch Alkoholeinfluss bewusstlose Frau missbraucht zu haben für gerade einmal sechs Monate Gefängnis verurteilt (da er bereits sein Stipendium und seinen Studienplatz verloren hat, man wundert sich, was bei einem weniger priviligierten Menschen passiert wäre). Bis zum Schluss entschuldigt er sich nicht bei seinem Opfer und führt sein Verhalten ausschließlich auf seinen eigenen Alkoholkonsum (und damit implizit auf den Alkoholkonsum seines Opfers zurück). In Deutschland wurde ein Promi aus dem Dunstkreis einer ProSieben Modesendung unter Alkoholeinfluss zu Geschlechtsverkehr gedrängt, laut Medienberichten vergewaltigt und dabei sogar noch gefilmt. Da ein laut Medienberichten existierendes Beweisvideo nicht ausreicht, wird sie nun wegen Falschbeschuldigungen angeklagt. Trotz dieser Fälle gibt es immer wieder Menschen, die der Ansicht sind, solche Handlungen im betrunkenen Zustand beider Parteien seien nicht zwingenderweise eine Strafttat, da die Zurückweisung von Seiten des Opfers eventuell nicht deutlich genug ist. Dabei ist die Vorstellung einer schlafenden bzw. unbewussten Zustimmung auch für Betrunkene völlig absurd. Andere, wie zum Beispiel die CDU-Fraktion, lehnen eine Verschärfung des Sexualstrafrechts weiterhin ab, da sie nicht davon überzeugt sind, dass hier ein systematisches Problem vorliegt. Auf einer Zugfahrt gestern Abend zwischen Aachen und Köln erlebte ich eine Gruppe singender, betrunkener junger Männer. Eigentlich kein Problem, würde sich das Lied nicht darum drehen, dass man eine schlafende junge Frau antrifft und diese „im Schlaf zur Mutter macht“. Die Aussage wird im Lied zwar relativiert (man habe ja immer ein Kondom dabei, außerdem erhält die Dame einen „Heller“ (!) für die Tat). Das dahinter stehende Menschenbild sowie die damit vermittelten und auch in der Diskussion der oben beschriebenen Fälle immer wieder auftretenden Vorstellungen (der Vater des oben zuerst genannten Täters beschrieb die Tat übrigens stark relativierend als „only 20 minutes of action“) sind erschreckend. Hier wird eine Reform des Rechts nicht ausreichen, eine Reform einiger Sozialkulturen ist hier dringend angeraten – in Stanford, im Medienbetrieb sowie in Männerausflügen.

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