Die bezifferte Welt (von Colin Crouch)
|„Wie die Logik der Finanzmärkte das Wissen bedroht“ ist der Untertitel von Colin Crouch neuestem Werk, das zudem als dritter Teil in seiner „Postdemokratie“-Reihe firmiert. Nach dem demokratischen System und der Rolle des Neo-Liberalismus in demselben, analysiert Crouch nun also welchen Einfluss marktwirtschaftliche Logik auf unser Wissen hat. Angesichts einer immer komplizierteren und undurchsichtigeren Welt ist dies ein wichtiges Thema.
Crouch präsentiert dies mit überzeugenden Illustrationen, die er einsetzt um sein Kernargument, marktwirtschaftliche Logik zerstöre Wissen anstatt es zu schaffen, zu untermauern. Allerdings ruht diese Aussage auf einer dünnen empirischen Basis und gleichzeitig schwimmt der Band regelmäßig um das eigentliche Thema herum.
Zunächst seziert Crouch überzeugend die neoliberale Einstellung gegenüber dem öffentlichen Dienst. Alles, was nicht mit einem Marktpreis versehen oder in ein Ranking verpackt werden kann, sei entweder wertlos oder aber korrupt. Auf diese Weise und mithilfe eines in allen westlichen Industrieländern durchgeführten „New Public Management“-Projektes wurden weite Teile der öffentlichen Daseinesversorgung entweder privatisiert oder aber mithilfe von Kennzahlen und „Kundenorientierungen“ marktwirtschaftlichen Logiken unterworfen. Crouch zeigt, dass dies in der Regel zulasten der Schwächeren geht. Während Schulen weiterhin unter öffentlicher Kontrolle stehen, da Eltern eine starke Wählergruppe sind, werden z.B. Waisenhäuser privatisiert und noch weiter an den Rand der Gesellschaft geschoben. All diese Argumente sind logisch abgeleitet und konsequent mit empirischem Material aus Großbritannien unterfüttert.
Weniger überzeugend ist allerdings der Übergang zum Wissen. Crouch erschafft eine gelungene Unterscheidung zwischen einer Perspektive des öffentlichen Dienstes, der sich an Bürgern, Kunden oder Objekten orientiert. Häufig werden Bürger in modernisierten Verwaltungen nicht Kunden, sondern Objekte. Das liegt daran, dass sie zu wenig Informationen haben und außerdem ein wirklicher Wettbewerb nicht stattfindet. Während diese These wichtig ist (wie auch die Entmündisierung der Staatsbürger im privaten Sektor) erwartet man von einer Analyse verlorenen Wissens doch mehr.
Letztlich ist Wissen von Crouch nämlich sehr inkonsequent definiert. Mal ist es das an Universitäten produzierte Wissen, mal das Fachwissen im öffentlichen Dienst bzw. in einzelnen Berufsgruppen wie z.B. Ärzten und mal sind es die Informationen, die Kunden bei einer Produktentscheidung haben, das Crouch bedroht sind. Letztlich ist die Aussage, dass alle Wissensformen durch die reine Marktlehre, die sich ausschließlich am Preis als Kerninformation orientiert, bedroht sind. Durch die mangelnde Definition lässt sich der genaue Mechanismus aber nur schwer nachvollziehen. Das liegt auch daran, dass die meisten Beispiele gar nicht direkt das Thema Wissen ansprechen. So wird immer wieder auf Polizeiskandale hingewiesen, die durch falsche Anreize durch Kennzahlen entstehen. Dies hat mit Wissen primär aber wenig zu tun. Besser sind hier Beispiele aus dem Bereich der Verbraucherinformation oder dem Universitätsbetrieb. Aber auch hier gäbe es durchaus tiefergehender Möglichkeiten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Letztlich dreht sich auch „Die bezifferte Welt“, wie auch Crouchs vorherige „Postdemokratie“-Bücher, in erster Linie um die anonymen neoliberalen Kräfte, die uns manipulieren (und der Schwerpunkt liegt diesmal darauf, dass sie „uns“ Wissen vorenthalten, sodass „wir“ leichter manipulierbar sind). Hier wäre es überzeugender, die Gegenseite zu entanonymisieren. Natürlich nennt Crouch immer wieder Firmennamen. Eine deutlichere Analyse der politischen Kräfte, die diesen Status Quo aufrecht erhalten, hätte das Buch deutlich nützlicher gemacht.
Da dies ein schwieriges Unterfangen ist, hätte auch eine bessere Auseinandersetzung mit neoliberalen Apologeten ausgereicht. Crouch führt als neoliberalen Vertreter hauptsächlich Hayek und einige andere Autoren an. Eine konsequentere Auseinandersetzung mit konkreten neoliberalen Ansätzen oder noch besser mit neoliberalen Politikberatern, die die derzeit angewandten Konzepte überhaupt erst entwickeln, wäre deutlich fruchtbarer gewesen als die halbgaren Beispiele für neoliberale Schandtaten ohne Erwähnung ihrer Verursacher. Mit dieser Ausgangslage hätte dann eine konsequente Erforschung der neoliberalen Einschränkung freier Wissensproduktion bzw. -bereitstellung erfolgen können.
Hier fällt auch auf, dass das Buch von Crouch selbst scheinbar nicht als dritter Teil der „Postdemokratie“-Reihe geplant war: Das Konzept wird lediglich am Ende kurz erwähnt, die Erkenntnisse dieses Buch nicht mit Crouchs vorherigen Überlegungen in Einklang gebracht. Dabei wäre gerade diese Verbindung zwischen einer Art Scheindemokratie in der Hand mächtiger (Wirtschafts)Interessen mit der Kontrolle des verfügbaren Wissens sehr reizvoll gewesen.
Alles in allem bleibt Crouch hinter der Erwartung einer klaren Beschreibung der Bedrohung für eine freie Wissensproduktion und -verbreitung in westlichen Gesellschaften zurück. Sein Buch zeigt auf, dass der Markt keine ausreichende Informationsgrundlage bietet und dass neoliberale Prinzipien im öffentlichen Sektor fatale Auswirkungen haben kann. Es deutet zudem an, dass dies sowohl an mangelnden Informationen der Bürger liegt als auch an der Tatsache, dass Unternehmen im neoliberalen System gar keinen Anreiz dafür haben, neutrales Wissen bereit zu stellen bzw. zu schaffen. Aus dieser Sicht liest sich der gut geschriebene Band wie ein überzeugendes Pamphlet, derzeitige Entwicklungen im öffentlichen Dienst auf ihre Ehrlichkeit und vor allem ihre Gerechtigkeit zu hinterfragen und gibt zudem erste Denkanstöße, sich weiter mit dem Spannungsfeld (neutrales) Wissen und Marktlogik zu beschäftigen.