Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland (von Wilhelm Bleek)

gdpidEine weit verbreitete Meinung ist, dass es Politikwissenschaft, die Demokratiewissenschaft, in Deutschland erst durch einen US-Import nach dem zweiten Weltkrieg gibt. Wilhelm Bleeks „Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland“ legt dagegen dar, dass die wissenschaftliche Lehre von der Politik eine deutlich längere Tradition hat: Die Geschichte der Politikwissenschaft nach dem zweiten Weltkrieg nimmt weniger als die Hälfte des Textes dieses umfassenden Werkes ein.

Der Leser erhält durch Bleek stattdessen zunächst einmal Einblicke in die politische Lehre im Studium an mittelalterlichen Universitäten sowie der frühen Neuzeit. Bleek zeichnet nach wie die Lehre langsam aus dem allgemeinen Grundstudium im Zuge der Disziplinenbildung gelöst wurde und in der Rolle als Staatswissenschaft im 18. und 19. Jahrhundert in der Form politischer Professoren Wirkungsmacht entfaltete. Diese ersten vier Kapitel sind besonders daher faszinierend, da sie gleichzeitig eine Geschichte der damaligen Universitätslandschaft darstellen und zudem aufzeigen wie politikwissenschaftliche Lehre von Anfang an immer auch politikberatenden bzw. -beeinflussenden Charakter hatte. Zwar gleicht der Abriss gelegentlich einer tour de force, Bleek legt aber vor allem in den Kapiteln über das 19. Jahrhundert vermehrt den Fokus auf herausragende Persönlichkeiten, die der Darstellung eine angenehm lesbare Note verleihen.

Im Zuge der Revolution von 1848 und der prominenten Rolle politischer Professoren wurde das Fach zunehmend skeptisch gesehen und vor allem im Deutschen Reich langsam aber sicher von den Universitäten vertrieben. Folgerichtig beschäftigen sich Kapitel mit dem „Untergang der älteren Lehre der Politik“. Dieses Kapitel ist vor allem dadurch faszinierend, dass es die Impulse deutscher Politiklehrer auf die Entwicklung der Disziplin in den USA nachverfolgt. Dadurch kann Bleek eine Kontinuität zwischen der älteren Lehre und der nach 1945 wieder importierten Lehre entdecken. Noch spannender ist der Abschnitt über die Entwicklung der Deutschen Hochschule für Politik in der Weimarer Republik, die zunächst durch Vertreter aller staatstragenden Parteien besetzt war und im Verlauf der Republiksgeschichte, aber noch vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, weit nach rechts driftete. Dem schließt sich eine Darstellung politikwissenschaftlicher, das nationalsozialistische Regime legitimierender und unterstützender Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945 an. Diese drei Kapitel bilden den spannendsten Teil des Buches.

Die restlichen Kapitel konzentrieren sich auf die Entwicklung der Disziplin Politikwissenschaft in Deutschland. Bleek stellt dar, wie sich das als jung empfundene Fach zunächst den Respekt der Nachbardisziplinen, mit denen es in einem konstanten Spannungsverhältnis steht, erwarb, wie es eine enorme Expansion erlebte und im Anschluss der ’68er Unruhen in inneren Streitigkeiten zu versinken drohte bevor es sich ab den 80er Jahren konzentrieren konnte. Abgeschlossen wird dieser Abschnitt durch die Etablierung politikwissenschaftlicher Lehrstühle und Studiengänge an Universitäten in den neuen Bundesländern. Die Tatsache, dass das westdeutsche Modell hierin kopiert wird, wertet Bleek als Zeichen für die Akzeptanz der Disziplin.

So faktenreich auch die Kapitel über die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg sind, sie lassen den Leser doch etwas unbefriedigt zurück. Bleek beschreibt die Schulbildung noch anschaulich und bringt dem Leser dabei in Grundzügen die unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Schulvertreter nahe. In der Folge und vor allem beim Nachzeichnen der stärker werdenden Spannungen innerhalb der Disziplin treten inhaltliche Elemente jedoch zusehends zurück. Natürlich wäre es unmöglich auf 450 Seiten auch die verschiedenen Ansätze der mittlerweile über 300 Politikprofessoren zu skizzieren, dafür bedürfte es eines eigenen Werkes. Trotzdem wären mehr Informationen über die Gründe und die Formen der Auseinandersetzungen innerhalb der Disziplin, über die großen Diskurse wünschenswert gewesen – auch wenn diese Aufgabe schwieriger als für die Disziplingeschichte im 19. Jahrhundert ist.

 

Davon abgesehen bietet Bleeks großes Werk zur Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland jedoch einen überzeugenden Eindruck der Disziplinentwicklung vom Mittelalter bis heute. Nach der Lektüre wird die eingehende Behauptung vom Leser nicht mehr verteidigt werden können – und das ist, schaut man sich Bleeks abschließende Thesen im letzten Kapitel an, auch das Hauptziel des Autors. Diese Botschaft vermittelt er mithilfe eines klaren, gut lesbaren Stils, der immer auch Platz für interessante Anekdoten und überraschende Einblicke lässt, der erst ab der Darstellung der (ebenfalls spannenden) Krisen der Disziplin ab den 1970er Jahren ins nüchtern und global betrachtete abgleitet. Damit bietet Bleek eine umfassende und gut lesbare Geschichte der Politiklehre in Deutschland.

 

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