Gedankensplitter 17/2016

Scheinproblem Medienmanipulation: In dieser Woche titelte Spiegel Online für einen kurzen Moment mit der Meldung, der CDU-Bürgermeister von Stralsund habe ein Interview im Vorfeld abgesprochen. Aus der Sicht der Redaktion sei dies vor allem brisant, da Stralsund im Wahlkreis der Bundeskanzlerin liegt. In der Regel werden Interviewfragen in der Tat nicht im Vorfeld abgesprochen. Doch die Antworten werden den Befragten normalerweise zur Autorisierung vorgelegt. Dabei haben die Befragten weitreichende Freiheiten, ihre Antworten zu verändern bzw. ihre Antwort auf eine Frage wieder zurückzuziehen. Auf kommunaler Ebene und mit weniger Professionalisierung mag es einem Bürgermeister durchaus gelegen kommen, Fragen im Vorfeld zu wissen. Hier ist es jedoch an dem jeweiligen Medium, dies zu verweigern, bzw. einen zu propagandistischen Bürgermeister (wie in diesem Fall) zu stoppen. Der Fokus sollte also nicht auf dem Bürgermeister, sondern auf dem Lokalsender liegen, der sich so etwas gefallen lässt.

Halbbericht Sylt: Ebenso meldete Spiegel Online, dass die Gemeinde Sylt in Zukunft für mehr Dauerwohnungen sorgen will. Dadurch möchten die Lokalpolitiker auch „normales“ Leben auf der Insel ermöglichen. Während die CDU und eine konservative Wählergemeinschaft, den Beschluss unterstützten, beantragte die SPD eine Vertagung der Entscheidung. Das klingt komisch? Ist es auch: Folgt man stattdessen der Lokalzeitung Sylter Rundschau so ging der Originalantrag deutlich weiter und hätte tatsächlich dafür gesorgt, dass Investoren einen bestimmten Anteil an Dauerwohnungen errichten müssen, wenn sie weitere Ferienwohnungen planen. Die CDU und die Wählergemeinschaft haben den Antrag stark aufgeweicht. Zwar gibt es jetzt eine Regelung, die greift aber nur bei Bauprojekten über 130qm (man beachte den O-Ton des Bürgermeisters hier, der nun viele Bauprojekte mit 129qm erwartet). Es ist gut, wenn überregionale Medien lokale Themen aufgreifen. Nur müssen sie dabei solide Standards an den Tag legen und Debatten nicht verfälschen. Spiegel Online ist diese gute Berichterstattung nicht gelungen.

Falschdebatte Rente: Die Bundestagswahl rückt näher und in der CSU erinnern sich manche, dass man die vergangene unter anderem mit dem teuren Versprechen der Mütterrente gewann. Deshalb soll im kommenden Jahr noch einmal nachgelegt werden: Rentenerhöhung für alle! Völlig uninspiriert schließen sich Teile der SPD dieser Forderung an, man kann ja nicht unsozialer als die CSU darstellen. Im Wirtschaftsflügel der CDU regt sich Widerstand: Man müsse sich stattdessen darauf vorbereiten bis 70 zu arbeiten, Rente mit 63 war hier vielen sowieso ein Dorn im Auge. Diese kurze und heftige Debatte, in den Medien sowieso kaum dargestellt, zeigt was an dieser Koalition schief läuft: Erstens ist man hier so weit voneinander entfernt, dass eine Einigung unmöglich erscheint. Zweitens diskutiert man ein mal mehr jahrzehntealte Extrempositionen. Dabei müsste allen klar sein: Die Bevölkerung will weder eine nicht finanzierbare Erhöhung auf Pump noch bis 70 arbeiten. Verantwortungsvolle Politiker würden sich nun über ein Rentensystem Gedanken machen, dass finanzierbar ist und eine Rente mit spätestens 65 Jahren ermöglicht. Ideen dafür sind genug im Raum, es braucht nur den Willen (und die Charakterstärke) diese ernsthaft zu diskutieren. Eine Große Koalition wäre dafür eine große Chance, doch die Akteure verlieren sich lieber im Rentenpopulismus.

Echtes Problem – politische Organisationen in Frankreich: Seit mehreren Jahren dominiert Marine Le Pen die Umfragen zur französischen Präsidentschaftswahl. Man müsste meinen, dass dies ein Anlass für die Konservativen und Sozialisten ist, alles in ihrer Macht zu tun, um ein Gewinn der extremen Rechten zu verhindern. Doch beide Lager zerstreiten sich lieber untereinander. Unter den Konservativen gibt es mindestens neun Kandidaten – ein klarer Favorit ist nicht in Sicht. Im sozialistischen Lager hat sich zuletzt der angeblich so moderne Wirtschaftsminister Macron in einer alten französischen Tradition geübt und sich von der eigenen Partei getrennt und eine neue gegründet. Das französische Parteiensystem ist zersplittert, die großen Mainstreamparteien lediglich Plattformen hinter denen sich viele verschiedene, kleine Bewegungen verstecken. Das problematisch daran ist, dass diese Plattformen nicht in der Lage dazu scheinen, eine kohärente Regierungspolitik anzubieten. Bei jedem Vorschlag aus dem linken oder rechten Lager regt sich genau so viel Widerstand beim politischen Gegner wie in den eigenen Reihen. Das liegt nicht nur an der ideologischen Breite der beiden Lager, sondern auch daran, dass die einzelnen Akteure einander keinen Erfolg gönnen – schließlich hat man ja eigene Ambitionen. Mit solch einer Ausgangslage ist es nahezu unmöglich einem einheitlich auftretenden und zudem mit simplen Parolen um sich schmeißenden Blog wie dem Front National effektiv entgegenzutreten. Frankreich bräuchte politische Versöhner, die zudem Regierungsfähigkeit vermitteln können. Stattdessen hat es verzagte und sektiererische Sozialisten und genau so sektiererische Konservative, die sich zwar jüngst in „Republikaner“ umbenannt haben, die sich jedoch aus Furcht vor dem Front National immer weiter vom republikanischen Ideal entfernen. Eine fatale Situation. Und bevor man sich zurücklehnt und dies auf das Nachbarland schiebt: Auch in Deutschland nimmt die Bindekraft der großen Parteien ab, je weniger Mitglieder sie haben, desto mehr geht es einzelnen Akteuren in erster Linie um ihre eigene Karriere, desto schwieriger ist es, einheitliche Positionen zu verfassen. Selbst der Union ist es in dem vergangenen Jahr nicht gelungen, sich auf einen Kurs in der Flüchtlingspolitik zu einigen und diesen in ein politische Programm umzusetzen. Wenn die deutsche Politik und die deutschen (politisch interessierten) Bürger nicht aufpassen, stecken wir bald in einem ähnlichen Dilemma wie unsere französischen Nachbarn.

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